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Mythos Ueberfremdung

Mythos Ueberfremdung

Titel: Mythos Ueberfremdung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doug Sounders
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extremistische Aktivitäten verwickelt oder mit solchen Aktivitäten eng verbunden waren«. Zu diesem Personenkreis zählten beispielsweise auch dschihadistische Spendensammler und Möchtegern-Selbstmordattentäter. Die Schlussfolgerung aus diesen Untersuchungen lautet, dass muslimische Terroristen in westlichen Ländern »eine vielfältige Ansammlung von Einzelpersonen darstellen, die in kein einheitliches demografisches Profil passen, und sie folgen auch nicht alle einem typischem Weg, der in den gewalttätigen Extremismus führt«. Wie in anderen Ländern auch, sind sie häufig Konvertiten oder Angehörige der zweiten Generation, im Land geborene Kinder legaler Einwanderer.
    Auffällig ist hierbei, dass extremistische muslimische Geistliche bei der Indoktrination oder Anwerbung dieser Dschihadisten im Allgemeinen keine Rolle spielen. »Die meisten von ihnen sind religiöse Novizen und vom islamis tischen Fundamentalismus weit entfernt«, heißt es in dem Bericht. Nur wenige sind in streng religiösen Familien aufgewachsen. In Wirklichkeit »gibt es Belege dafür, dass eine gut fundierte religiöse Identität tatsächlich vor gewalttätiger Radikalisierung schützt«, schreiben die MI5-Experten.
    Einige der Rekruten, so heißt es weiterhin, »konsumieren Drogen, trinken Alkohol und nehmen die Dienste von Prostituierten in Anspruch.« Aber es scheint sich hierbei nicht um psychisch instabile Einzelgänger zu handeln, denn die Mehrheit der über 30-Jährigen lebt in festen Beziehungen, und die meisten von ihnen haben Kinder. In der Regel sind sie auch gut ausgebildet und haben eine Arbeit, auch wenn es sich meist um eine schlecht bezahlte Tätigkeit handelt. Man hat es hier weniger mit ausgeprägt mönchischen, tiefgläubigen Menschen zu tun, sondern mit nicht gläubigen Einzelpersonen, die sich aus politischen oder persönlichen, nicht aber aus religiösen Gründen zu radikalen Peergroups hingezogen fühlen. Vier Faktoren, heißt es in der Geheimdienststudie, führten zu terroristischer Radikalisierung: ein »Trauma«, zum Beispiel der Tod eines geliebten Menschen (10 Prozent der Terrorverdächtigen hatten dies erlebt); Einwanderung ohne Familienangehörige (ein Drittel der Extremisten war »alleine nach Großbritannien gegangen«, als Studenten oder Arbeiter); »kriminelle Aktivitäten« (zwei Drittel hatten Vorstrafen) und schließlich »Gefängnis« (viele radikalisierten sich während einer Haftzeit). 15
    Religiöse Hingabe korreliert nicht einfach mit islamisti schem Radikalismus. Die Gallup-Organisation nahm in einer Untersuchung die 7 Prozent der Muslime weltweit in den Blick, die als »radikal« gelten, das heißt diejenigen, die die Anschläge vom 11. September 2001 gutheißen und ein negatives Bild von den Vereinigten Staaten haben – und stellte fest, dass diese Menschen keineswegs religiöser sind als die muslimische Bevölkerung insgesamt. 16 Das Pew Research Center stellte 2008 fest, dass der Anteil nicht religiöser deutscher Muslime (94 Prozent), die erklärten, dass »Angriffe auf Zivilisten moralisch nicht zu rechtfertigen sind«, genauso groß war wie die Zahl der Gläubigen, die dasselbe sagten (ebenfalls 94 Prozent). In Frankreich bekannten sich 94 Prozent der religiösen und 82 Prozent der nicht religiösen Muslime zu dieser Auffassung; 90 Prozent der religiösen britischen Muslime missbilligten Angriffe auf Zivilisten, bei den nicht religiösen waren es 87 Prozent. 17
    Der dschihadistische Terrorismus entwickelte sich in den westlichen Ländern seit Anfang der 1990er-Jahre als eine extreme politische Reaktion auf die Präsenz westlicher Soldaten in islamischen Ländern. Er hat diesen politischen Weg weiterverfolgt. Das bedeutet zwar, dass seine Anhänger an die Existenz eines unantastbaren »Landes des Islam« glauben müssen, heißt aber noch lange nicht, dass sie ansonsten die allerfrömmsten Gläubigen sind.
    »Religiöse Orthodoxie und politische Radikalisierung sind ganz verschiedene Dinge und reagieren auf ganz unterschiedliche Mechanismen«, sagt Rik Coolsaet, der belgische Wissenschaftler, der einige der detailliertesten Untersuchungen zur muslimischen Radikalisierung geleitet hat. »Religiöse Orthodoxie beginnt mit einer Identitätssuche, die in höchst unsicheren Zeiten besonders schwierig ist. Politische Radikalisierung beginnt mit dem Widerstand gegen Ungerechtigkeit. Ersteres kann sich zu einem Problem für den sozialen Zusammenhalt entwickeln, wenn Einzelpersonen und Gruppen

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