Mythos Ueberfremdung
der Bedrohung durch islamischen Terrorismus oder von der Notwendigkeit ablenken, radikalen Ideologien innerhalb von Einwandererge meinden entgegenzutreten. Der Terrorismus bleibt ein ernstes Problem und hat das Potenzial, die internationale Sicherheit zu bedrohen. Aber er entwickelt sich nicht zur Epidemie und nimmt auch nicht im Verhältnis zum muslimischen Bevölkerungsanteil im Westen zu.
Die wichtigere Frage lautet, ob Zusammenballungen mus limischer Einwanderer und ihrer Nachkommen – vor allem, wenn sie in sehr dicht besiedelten, ethnisch segregierten und verarmten Stadtvierteln leben – zu Brutstätten für antiwestliche Gewalt werden. Heißen die Länder des Westens noch mehr Terroristen willkommen, wenn sie die Einwanderung von Muslimen dulden?
Kurz gesagt, es sieht nicht danach aus. Große Ansammlungen von Muslimen scheinen nicht generell eine Quelle des Terrorismus zu sein. Die Geografen Nissa Finney und Ludi Simpson analysierten die Adressen aller britischen Muslime, die Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, etwa zur Zeit der Anschläge auf die Londoner U-Bahn, wegen terroristischer Verbrechen angeklagt wurden, und stellten dabei fest, dass 77 Prozent aus Wohngegenden kamen, in denen weniger als 11 Prozent der Bevölkerung Muslime waren, über die Hälfte (56 Prozent) lebten sogar in einem Wohnumfeld mit weniger als 6 Prozent Muslimen: Der einsame Muslim, der in einer überwiegend »weißen« Nachbarschaft lebt, passt also besser ins typische Profil des Terroristen. 25 Ähnliches wurde in den Vereinigten Staaten festgestellt, wo in der Zeit von 2001 bis 2011 nur 17 Prozent der Terrorverdächtigen eine Wohnadresse in Orten oder Stadtvierteln mit einem hohen Anteil von Muslimen hatten, zum Beispiel in Dearborn (Michigan) oder Los Angeles. Die Mehrheit stammte aus vereinzelten muslimischen Familien in einem gemischten Wohnumfeld. 26 Marc Sageman, ein ehemaliger CIA-Spezialist für Terrorbekämpfung, stellte in seiner klassischen Untersuchung zur Anwerbung von Terroristen fest, dass die überwiegende Mehrheit der Terroristen weder arm noch isoliert war, nicht aus zerrütteten Familien kam und auch keine kriminelle Vergangenheit hatte: »Drei Viertel meiner Stichprobe kamen aus der Ober- oder Mittelschicht. Die übergroße Mehrheit (90 Prozent) kam aus fürsorglichen, intakten Familien. 63 Prozent hatten das College besucht, im Vergleich zu den 5 bis 6 Prozent, die in der Dritten Welt sonst üblich sind. In vielerlei Hinsicht sind das die besten und klügsten jungen Leute ihres jeweiligen Heimatlandes.« 27
Der MI5-Bericht in Großbritannien bestätigte diese Er kenntnis. Dort ist nachzulesen, dass zwei Drittel der im letzten Jahrzehnt vom Inlandsgeheimdienst überwachten Terrorverdächtigen »aus Mittel- oder oberen Mittelschichtfamilien stammten, was aufzeigt, dass es keine simple Entsprechung zwischen Armut und der Verstrickung in islamistischen Extremismus gibt«. 28 Ein Bericht der britischen Regierung aus dem Jahr 2011 hielt fest, dass 45 Prozent der englischen Terrorverdächtigen eine Universität, ein College oder eine andere höhere Bildungseinrichtung besucht hatten. Das ist ein sehr viel größerer Anteil als bei der englischen Bevölkerung oder muslimischen Minderheit insgesamt – und ein wichtiger Hinweis darauf, dass arme muslimische Wohnviertel keine Brutstätten des Terrorismus sind. Diese Verdächtigen waren durch Lektüre, Internet oder Kontakt mit anderen politisch radikal gesinnten Menschen an Universitäten und in Gefängnissen zu ihren politischen Überzeugungen gelangt, nicht weil die Geisteshaltung einer muslimischen Gemeinschaft oder eines Wohnbezirks sie beeinflusst hatte.
Das Bild vom im selbst gewählten Ghetto lebenden Muslim aus der Parallelgesellschaft löst sich auf, sobald man den tatsächlichen Terroristen begegnet. Als Edwin Bakker am International Centre for Counterterrorism in Den Haag die Daten Hunderter muslimischer Europäer untersuchte, die wegen Terrorismus verurteilt worden waren, stellte er fest, dass nahezu alle von ihnen in Europa geborene Kinder oder Enkel von Einwanderern waren. Von diesen 313 Personen wohnten 305 ganz legal in einem europäischen Land. Nur 8 hatten jemals in einem außereuropäischen Land gelebt. Weniger als ein Fünftel war in einem religiösen muslimischen Haushalt aufgewachsen. Nahezu die Hälfte war in einem weitgehend säkularen Umfeld erzogen worden, und mehr als ein Drittel waren Konvertiten zum Islam, die meisten von
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