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Mythos Ueberfremdung

Mythos Ueberfremdung

Titel: Mythos Ueberfremdung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doug Sounders
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Platz beanspruchte. In unserer Erinnerung kamen frühere Zuwandererwellen von südeuropäischen Katholiken und osteuropäischen Juden in Lumpen an, ließen sich in pittoresken Stadtvierteln nieder, brachten es, zumindest in den englischsprachigen Ländern, rasch zu Wohlstand und vermischten sich mit der einheimischen Bevölkerung. Wir vergessen dabei, dass die Söhne der Neuankömmlinge aus Polen und Irland wirtschaftlich weniger erfolgreich wa ren als ihre Väter, oft extremere religiöse Einstellungen hat ten und sich weigerten, außerhalb ihres ethnischen Umfelds zu heiraten. Wir vergessen, dass das als Bedrohung unserer Demokratie und Kultur angesehen wurde. Wir vergessen, dass diese Menschen fast ein Dreivierteljahrhundert lang beinahe überall als Angehörige einer fremden Kultur angesehen wurden, dass man ihnen aufgrund der vermeintlichen Motive ihrer Religion misstraute, sie mit Gewalt in Verbindung brachte, ihnen unterstellte, sie würden die Integration bewusst verweigern – und dass reichlich Beweise angeführt wurden, die solche Ansichten belegen sollten. Ihre Integration in unser Wirtschaftsleben und unsere Gesellschaften dauerte auch viel länger, als uns in Erinnerung ist. Unweigerlich denken wir, dass die Dinge diesmal anders liegen. Um Rückschaufehler zu vermeiden, sollten wir uns Zeit nehmen und die Erinnerung befragen.

I Die katholische Flut
    W er in den Jahren 1949 und 1950 in den Vereinigten Staaten lebte, konnte Paul Blanshards Buch American Freedom and Catholic Power kaum aus dem Weg gehen. Es hielt sich elf Monate lang auf der Bestsellerliste der New York Times, wurde vom Book-of-the-Month Club empfohlen, verkaufte in der ersten Ausgabe 240 000 Exemplare und erlebte in den USA und international 26 Auflagen; auch die 1958 erschienene zweite Ausgabe war ein Erfolg. Das Buch ist inzwischen zwar fast völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden, aber eine Zeit lang sah es ganz danach aus, als sei auf dem Kaffeetisch eines jeden angloamerikanischen Mittelschichthaushalts ein Exemplar davon zu finden.
    Und welcher Gedanke war damals Tagesgespräch? Blanshard schlug Alarm wegen einer Flut katholischer Einwanderer in die Vereinigten Staaten, die er als tiefe Bedrohung für Demokratie, Gleichheit und säkulare Werte bezeichnete. Diese Menschen kamen aus Ländern, die fast ausnahmslos autoritär regiert wurden, in religiösen Fragen fundamentalistisch auftraten und gegen Frauenrechte und Geburtenkontrolle waren. Katholiken waren Anhänger eines unveränderlichen, unabänderbaren, vom Klerus verordneten Dogmas, das eher eine politische Ideologie als ein Glaube war, »ein Überbleibsel eines mittelalterlichen Autoritarismus, für das es in einem demokratischen amerikanischen Umfeld keinen Platz gibt«. Blanshard behauptete, dass Katholiken nicht integriert werden könnten und auch nicht integriert würden; sie würden in amerikanischen Städten Parallelgesellschaften einrichten und die Durchsetzung ihrer Glaubensüberzeugungen in einem umfassenderen Rahmen planen. Der Katholizismus sei im Kern ein »undemokratisches System unter ausländischer Kontrolle«. Die geburtenreichen katholischen Familien würden »die nicht katholischen Teile unserer Bevölkerung mit ihrem Geburtenüberschuss überflügeln« und sich schließlich um die Präsidentschaft bemühen, um dann, mithilfe eines »katholischen Plans für Amerika«, ein göttliches Recht einzuführen, zu dem auch ein Zusatzartikel zur Verfassung zählen würde, der die Vereinigten Staaten zu einer »katholischen Republik« machen würde.
    Einen Beleg für die katholische Neigung zur Ausübung extremer sozialer Kontrolle sah er in der Existenz ihrer schwarze Kopfbedeckungen tragenden religiösen Extremisten: der Non nen. Sie seien der Versuch der Kirche, so schrieb er, »ein Zeit alter [wiederzubeleben], in dem die Frauen die Unterwerfung angeblich genossen und in der Selbsterniedrigung schwelgten«. Er behauptete außerdem, die meisten Kriminellen in den amerikanischen Städten seien Katholiken und jede größere katholische Bevölkerungsgruppe bringe Gewalt, Faschismus, Verbrechen und Terrorismus mit sich. Amerika brauche eine »Widerstandsbewegung«, die sich gegen die »antidemokratische Sozialpolitik der Amtskirche und […] jedes intolerante, separatistische oder unamerikanische Merk mal dieser Politik« wende.
    Blanshard war alles andere als ein randständiger Pamphletist oder religiöser Spinner. Er war leitender Redakteur der

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