Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)
genannte »Brain-Pull«-Komponente, die Energie bedarfsgerecht für das Gehirn aus dem Körper anfordert und so selbst in Versorgungskrisen verhindert, dass das Gehirn abnimmt. Dementsprechend formulierte ich Axiom Nummer 1 der Selfish-Brain-Theorie: Das Gehirn verfolgt mit höchster Priorität die Regulation seines eigenen Energiegehaltes. Das Gehirn verhält sich bedingt »selbstsüchtig« – es stellt die eigene Energieversorgung sicher und schafft so aber auch die Voraussetzung, dass Körper und Geist möglichst lange lebens- und handlungsfähig bleiben.
Notfallplan – wie beschafft sich das Gehirn Zucker, wenn keine Nahrung da ist?
Konkret können wir uns das wie folgt vorstellen: Ein Mensch hungert, das heißt, er hat möglicherweise über Tage oder Wochen kaum oder gar keine Nahrung zur Verfügung. Doch das menschliche Gehirn verbraucht jeden Tag große Mengen Glukose – im Durchschnitt rund 130 Gramm pro Tag –, also etwa 60 Prozent der zirkulierenden Blutglukose. Im Stress, wie bei einer Prüfung, sind es sogar bis zu 90 Prozent. Es braucht diesen Zucker nicht nur zum Denken oder um zu funktionieren, sondern zum Überleben. Das Gehirn ist durch die Blut-Hirn-Schranke von der generellen Blutzirkulation getrennt und stellt damit eine in sich geschlossene Einheit dar. Die Menge an Glukose, die über die Blut-Hirn-Schranke aufgenommen wird, variiert mit dem jeweiligen zerebralen Aktivitätsstatus, das heißt, sie nimmt während des Tiefschlafes ab und steigt bei psychosozialer Stressbelastung an. Um diesen sich ständig ändernden Bedürfnissen des Gehirns nachzukommen, sind insbesondere in Zeiten von Nahrungsmittelknappheit Brain-Pull-Mechanismen für das Überleben unverzichtbar. Denn unterschreitet die Glukoseversorgung einen kritischen Wert, stirbt nicht nur das Gehirn, sondern eben auch der Rest des Körpers. Genau hier liegt der biologische Grund für die Sonderstellung des Gehirns: Dessen geringe Belastbarkeit bei Engpässen in der Energieversorgung zwingt den Körper dazu, dem Gehirn Glukose zuzuführen.
Woher aber kommt die Energie, wenn die Nahrung fehlt? Aus dem Körper selbst – und das Opfer, das ihm das Gehirn in einer solchen Krise abverlangt, ist groß (und schmerzhaft). Um dem Energiediktat des Gehirns während einer Hungerperiode nachkommen zu können, ist der Körper dazu gezwungen, sein Gewebe abzubauen – Muskeln, Knochen, Fett, aber auch Leberzellen und anderes Organgewebe, um das Gehirn zu ernähren (selbst das Herz muss Zellen abbauen, um so Glukose fürs Gehirn bereitzustellen). Bildhaft gesprochen, können wir sagen, dass das hungrige Gehirn in der Not den Körper Zelle für Zelle aufisst – immer in der Hoffnung, dass sich die Versorgungslage doch noch verbessert, bevor es zu spät ist. Gehirn und Körper spielen auf Zeit. Im extremsten Fall – also dem Verhungern – läuft diese Versorgung so lange, bis der Körper aus Energiemangel und Substanzverlust zusammenbricht und beide sterben – Körper und Gehirn.
Wenn Abnehmen also zu einem gravierenden oder im Extremfall sogar dramatischen Verteilungskampf um die Energieressourcen zwischen Gehirn und Körper führt und das Gehirn dem Körper die letzten Reserven abverlangt, welche Folgen ergeben sich daraus für unsere Gesundheit – zum Beispiel bei einer Diät? Denn Abnehmprogramme sind letztlich nichts anderes als eine Strategie, den Körper mittels Drosselung der Energiezufuhr zu einer Reduzierung seines Gewichts zu zwingen. Mit welchen Risiken und Nebenwirkungen muss also ein Mensch rechnen, der auf diese Art, sagen wir, fünf Kilo schlanker werden möchte?
Beipackzettel für Diäten?
Ein internationaler Pharmakonzern informiert in einer groß angelegten Medienkampagne darüber, dass jetzt endlich der Durchbruch im Kampf gegen Übergewicht gelungen sei. »Ein neues Medikament hilft Menschen, schlanker zu werden und zu bleiben«, heißt es im Werbetext. Die »Abnehm-Sensation«, so scheint es, ist perfekt. Doch in der Abteilung des Unternehmens, die den gesetzlich vorgeschriebenen Beipackzettel formulieren soll, ist man weniger euphorisch. Denn die Liste der Nebenwirkungen ist beträchtlich:
Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit
erhöhtes Risiko von Depressionen
beschleunigter Alterungsprozess des Hautgewebes
Muskelschwund, Muskelschwäche
Knochenabbau (Frakturrisiko, Rückenschmerzen)
Störung der Sexualfunktion (Libidoverlust, Ausbleiben der Regelblutung)
Leistungsabbau des Gehirns (Gedächtnisschwäche,
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