Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)
ein Eingriff einen dicken Menschen in einen dünnen verwandelt
Für viele Menschen bedeutet dick zu sein, eine Reihe von Niederlagen ertragen zu müssen. Gescheiterte Diäten und andere vergebliche Abnehmbemühungen wie Ernährungsumstellungen und Fitnessprogramme stehen auf der Liste der demütigenden Erfahrungen. Die Ermahnungen der Ärzte wegen der Risiken des Übergewichts, die damit verbundenen Ängste um die eigene Gesundheit, das Gefühl, willensschwach zu sein und immer wieder zu versagen, die Blicke der anderen, ihre unausgesprochenen Gedanken und die Bemerkungen zu Kleidergrößen, überflüssigen Pfunden und neuen Diätkonzepten, die man unbedingt ausprobieren sollte, tragen dazu bei, sich schlecht und schuldig zu fühlen. Der Gedanke, dass alle anderen recht haben und man selbst nur zu schwach ist, etwas zu ändern, gewissermaßen das einzig Richtige zu tun – nämlich endlich abzunehmen –, wird immer bestimmender und nistet sich ein. Diese perfide Korruption des eigenen Denkens erfolgt bei Menschen, die unter Diskriminierung zu leiden haben, nahezu zwangsläufig. Wer sich in einer scheinbar ausweglosen Situation schwach und hilflos fühlt, resigniert oder sehnt sich nach einem Wunder; nach Hilfe von außen, nach einem Retter, der das Problem löst. Es ist nur zu verständlich, dass Menschen in einer derartigen Verfassung nach jedem Strohhalm greifen, besonders wenn er von jemandem gereicht wird, dessen Expertenstatus ebenso unstrittig ist wie das Umfeld, in dem das Angebot unterbreitet wird.
Ein Akt der Verführung? Wenn Patienten Patienten unterstützen sollen
» Ihre Unterstützung wäre für unsere Arbeit hier von großer Bedeutung – und wahrscheinlich auch für die anderen Patienten, für die sich hier eine einmalige Chance bieten würde. Denken Sie darüber nach.» Der Chirurg verleiht seinen Worten mit einem Handschlag Nachdruck und verlässt das Krankenzimmer. Für Julia W. ist diese Erfahrung völlig neu. So hat noch nie ein Arzt mit ihr geredet. Die 42 -jährige Sachbearbeiterin beim Einwohnermeldeamt einer mittelgroßen Gemeinde war wegen einer Blinddarmoperation in der Universitätsklinik der nahegelegenen Großstadt aufgenommen worden. Dr. C., der freundliche Chirurg, hatte sie nach der Operation auf ihren Körperumfang angesprochen und sie sehr freundlich und einfühlsam zu ihren Bemühungen abzunehmen befragt. Und sie hatte ihm ausführlich ihre Leidensgeschichte erzählt und zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass ihr ein Arzt unvoreingenommen zuhörte, ohne sie zu ermahnen, endlich mit dem Abnehmen ernst zu machen. Dr. C. sprach stattdessen von alternativen Wegen und dem Wunsch der Klinik, mit Betroffenen wie Frau W. ins Gespräch zu kommen, um gemeinsam neue Behandlungswege gegen Adipositas zu beschreiten. C. fragte Frau W. rundheraus, ob sie mit ihren kommunikativen Fähigkeiten nicht eine Selbsthilfegruppe für Adipositas-Betroffene ins Leben rufen wolle. Die Klinik würde für entsprechende Räumlichkeiten sorgen, und – wenn gewünscht – medizinisches Personal würde an den Sitzungen teilnehmen, gegebenenfalls Fragen zu den therapeutischen Möglichkeiten beantworten. Für die Teilnehmer böte sich so die Chance, über neue Methoden ausführlich informiert zu werden, von Ärzten, die viel Zeit mitbringen, ohne dass für die Patienten Kosten entstünden. Julia W. und anderen Betroffenen schien dieses Angebot weit mehr als ein Strohhalm zu sein, das hörte sich eher nach einem ausgewachsenen Seenotrettungskreuzer an.
Die Selbsthilfegruppe nahm also ihre Arbeit auf. Vom ersten Treffen an waren alle Teilnehmer begeistert. Wie versprochen nahmen sich die Ärzte Zeit, an den Treffen teilzunehmen, hörten sich geduldig an, was die Teilnehmer über ihre fruchtlosen Bemühungen, mit Hilfe von ärztlich verordneten Diätplänen abzunehmen, berichteten und beantworteten Fragen. In der fünften Sitzung kam Dr. C. kurz auf die Infobroschüren zu sprechen, die von Anfang an auslagen, aber von den Teilnehmern wenig beachtet wurden. Viele von ihnen kannten diese Broschüren bereits von ihrem Hausarzt oder Internisten. Zusammen mit Dr. C. ging man noch einmal kurz die Möglichkeiten der konventionellen Gewichtsreduktion durch. Dann – etwa drei bis vier Sitzungen später – hieß es, die Klinik verlange eine Art Ergebnisprotokoll der Sitzungen der Selbsthilfegruppe. Eine Krankenschwester verteilte ein Formblatt, auf dem noch einmal zusammenfassend dargelegt wurde, dass alle
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