Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)
Betroffenen zu Depressionen führen, sogar ganze Gesellschaften langsam zerrütten.
Die Unterdrückung von dicken Menschen hat also in den USA bereits das Ausmaß von Rassendiskriminierung erreicht. Und in Deutschland? Ein Marburger Forscherteam fand heraus, dass von 1000 Befragten nur 23 Prozent weder eine offene noch eine maskierte Form von Gewichtsstigmatisierung zeigten. Anders gesagt: 77 Prozent der Befragten hatten Vorbehalte oder Resentiments gegenüber starkgewichtigen Menschen – bewusst oder unbewusst. Ein Leipziger Forschungsteam führte eine deutschlandweite Befragung mit 3000 Teilnehmern durch und fand heraus, dass dicke Kinder das höchste Risiko haben, Opfer von Diskriminierung zu werden. Und das sind nur stichprobenartige Befragungen. Seit 2005 hat sich die Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung der Thematik angenommen. Ein wesentliches Ziel der Organisation besteht darin, erst einmal Begriffe rund ums Dicksein zu diskutieren und inhaltlich neu zu bewerten. So wendet sich die Gesellschaft gegen die Definition des Dickseins als Ausdruck einer Essstörung oder Erkrankung und lehnt daher auch den Begriff des »Übergewichts« als falsch und diskriminierend ab. Denn dieser Begriff impliziert, dass es so etwas wie ein »Normalgewicht« gibt; also ein Gewicht, das für jeden Menschen gleichermaßen gilt – egal, wie, wo und mit wem er zusammenlebt. Diejenigen Mitglieder der Gesellschaft, die selbst einen hohen BMI haben, bezeichnen sich deshalb auch nicht als »übergewichtig«, sondern selbstbewusst als »dicke Menschen«. Besonders spannend sind die sieben Kernforderungen der Organisation an Politik und Gesellschaft und die damit verbundenen Überzeugungen:
Alle Menschen, unangesehen ihres Gewichts, verdienen kompetente und respektvolle Behandlung von Ärzten und medizinischem Personal.
Vorurteile basierend auf Gewicht sind nicht anders zu behandeln als Vorurteile basierend auf Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Körperbehinderung oder sexueller Orientierung.
Die Darstellung von dicken Menschen in den Medien ist oft unangemessen negativ. Die Medien schüren Ängste vor Fett und fördern die Fixierung auf Schlankheit. Das muss sich ändern.
Gewichtsvielfalt ist ein positives Ziel. Unser Traum ist eine Welt, in der das Leben eines Menschen, seine Gesundheit, sein Wohlbefinden und sein Glück nicht von seinem Gewicht abhängen.
Es gibt glückliche, attraktive, leistungsfähige Menschen in jeder Kleidergröße.
Jeder und jede von uns trägt die Verantwortung, für sich selbst einzustehen und für die Menschen, die unter Gewichtsdiskriminierung leiden.
Gewichtsfanatismus und Kleidergrößenwahn werden enden, wenn Menschen jedes Körperumfangs sich weigern, sie weiter zu tolerieren.
Es ist unmöglich, hier alle Beispiele offener und versteckter Alltagsdiskriminierung dicker Menschen in unserer Gesellschaft aufzulisten. Aber um eine Vorstellung vom Ausmaß und von der Tiefe des Problems zu geben, sollten folgende Beispiele genügen:
Sitzplätze in öffentlichen Verkehrsmitteln, Wartezimmern usw. sind nur für Menschen mit einer Kleidergröße bis XXL geeignet. Manche Airlines verlangen von Menschen in Übergrößen bereits den Preis für zwei Sitzplätze.
In der Bundesrepublik dürfen nur Menschen mit einem BMI von unter 35 kg/m 2 verbeamtet werden. Wer darüber liegt, birgt ein angeblich zu hohes Krankheitsrisiko. Raucher hingegen werden verbeamtet.
Kleidergrößen über 46 bei Frauen werden von den meisten Markenherstellern und Geschäften nicht berücksichtigt. Entsprechende Kleidung gibt es nur in Spezialläden, obwohl zahlreiche Frauen diese Größe benötigten. Damit gibt es in den mondänen Shopping-Zonen der Großstädte praktisch keine dicken Menschen mehr.
Dicke Menschen werden von Arbeitgebern sehr häufig benachteiligt: seltener eingestellt, niedriger entlohnt und eher gekündigt.
Allgegenwärtige Medienmeldungen, in denen Dicke als Problemfall abgetan werden: »Übergewichtige kosten das deutsche Gesundheitssystem nach Schätzung von Experten jährlich mindestens 17 Milliarden Euro.«
Selbst die medizinische Forschung ist nicht frei von Vorurteilen im Zusammenhang mit Gewicht. Es besteht hier dringender Bedarf, dass sich Ethikkommissionen mit Fragen auseinandersetzen, wie Studien angelegt sein müssen, wer sie finanzieren darf, wie Studien gedeutet werden sollten etc.
Wie lässt sich das komplexe Thema der Gewichtsdiskriminierung abschließend zusammenfassen?
Dicke Menschen haben ein Recht
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