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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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ihm auf, was das für ihn bedeutete. Sollte er etwa auch hier sterben?
    Plötzlich gaben die Beine unter ihm nach. Er rollte sich zur Wand und begann, vor Zorn zu weinen. Das ist unfair, dachte er. Sie sollten ihm wenigstens etwas geben, damit er sich verteidigen konnte. Damit er eine Chance hatte. Damit er irgendetwas tun konnte.
    Tanriverdi setzte sich neben ihn, den Rücken an die Wand gelehnt, und griff nach seinem Arm. Es beruhigte Pérez ein wenig.
    „Die Phase habe ich schon hinter mir“, sagte der Türke leise.
    Pérez lachte auf. „Und welche Phase kommt danach?“, fragte er zornig.
    „Schicksalsergebenheit“, sagte Tanriverdi leise. „‚Wo immer ihr seid, der Tod wird euch erreichen, auch wenn ihr in hochgebauten Burgen wäret.‘ So steht es geschrieben. Und wenn es nach Allahs Wille so weit ist, wird mich der Engel des Todes abberufen. Er wird meine Seele vom Körper trennen und in den Himmel führen.“
    Er schaute zur Decke hinauf. „Der Engel Azrail wird meine Seele zum ersten Gericht führen, und ich hoffe, Gott wird mein Leben als wohlgefällig betrachten und mir meine Sünden vergeben. Die Engel Mubashar und Bashir werden mir dann das Paradies verheißen, das auf den Gläubigen wartet nach der Auferstehung am Tag des Jüngsten Gerichts. Alle Mühen sind vorüber, alle Ängste vergangen, es beginnt die Reise durch die Zwischenwelt.“
    „Und das Paradies?“, fragte Pérez leise. „Wie sieht es aus, das Paradies der Muslime?“
    „Es ist ein Ort, wo wir Gott nahe sind. Das ist der größte Lohn für unsere Bemühungen auf Erden. Es ist ein Ort des Friedens, der Leichtigkeit und der Sinnesfreuden.“
    „Der Sinnesfreuden?“, hakte Pérez nach. „Welche Sinne haben wir denn noch, ohne Körper, ohne Augen, Ohren, Nase und Zunge?“ Er setzte sich auf. „Ich meine das ernst: Welche Sinnesfreuden sind gemeint?“ Alles, was ihn von ihrer Situation ablenken konnte, war ihm willkommen. Selbst ein Gespräch mit Tanriverdi. Er zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie.
    „Zum Beispiel die Sure 56 berichtet davon“, sagte Tanriverdi. „Dort heißt es: ‚Auf golddurchwirkten Polstern lehnen sie einander gegenüber. Ihnen werden ewig junge Knaben aufwarten, mit Bechern und Krügen aus einer fließenden Quelle. Keinen Kopfschmerz werden sie davon bekommen, noch werden sie berauscht sein. Und Früchte, die sie sich wünschen, und Fleisch vom Geflügel, was immer sie begehren, und Huris, wohlbehüteten Perlen gleich, als Belohnung für das, was sie get„ was sian haben. Und die zur Rechten werden unter dornlosen Lotusbäumen sein und gebüschelten Bananen und endlosem Schatten, bei fließendem Wasser und vielen Früchten, die nicht zu Ende gehen, noch verboten sind. Wir haben die Huris in herrlicher Schöpfung gestaltet und sie zu Jungfrauen gemacht, zu liebevollen Altersgenossinnen derer zur Rechten.‘“
    Pérez richtete sich ein wenig auf. „Den Teil mit den Huris finde ich besonders interessant“, sagte er leise lachend. Es klang leicht hysterisch.
    „Machen Sie sich über meinen Glauben lustig?“, fragte Tanriverdi zornig.
    „Ehrlich gesagt, ja“, stellte Pérez fest. „Merken Sie denn nicht, wie seltsam das klingt, dass das Paradies so aussieht wie ein Freudenhaus, mit dem Unterschied, dass jeder seine persönlichen Frauen bekommt und alles kostenlos ist?“ Er schüttelte den Kopf. „Was ist, wenn man diese Jungfrauen entjungfert hat? Oder kann ich sie gar nicht wirklich entjungfern, weil ich ja nur noch über meine Seele verfüge? Nein, wenn ich trinken kann, dann muss es einen Körper geben, in den ich das Zeug hineinkippe. Kriegen die Frauen männliche Huris? Und was ist mit den Schwulen …?“
    Tanriverdi rückte von dem Peruaner weg. „Sie sind genauso dumm und verdorben wie Ihr Professor. Einer der besonderen Vorzüge des Paradieses wird sein, Leuten wie Ihnen nicht mehr zu begegnen.“
    „Eines muss ich zugeben“, sagte Pérez. „An so ein Paradies zu glauben, ist sicher ziemlich tröstlich.“
    Es war inzwischen so hell, dass Pérez einzelne, grausige Details der Leichen erkennen konnte. Fast alle Uniformen waren auf eine Weise zerschnitten, als hätte jemand mit einer Machete auf die Polizisten eingeschlagen. Vielleicht waren diese Kerle also schon tot gewesen, als sie hier geköpft wurden. Eine Leiche fiel allerdings aus der Reihe. Es musste Sánchez sein, dem Hemd und der Hose zufolge. Die Kleidung schien noch intakt zu sein. Hatten sie dem armen Kerl

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