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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Tanriverdi. „Wo verändern sich die Tiere? Ich sehe Arten, die schon seit Jahrmillionen unverändert bestehen. Viele sind verschwunden, viele verschwinden heute noch. Aber wo entstehen neue?“
    „Auf den Galápagos-Inseln hat ein amerikanisches Ehepaar über Jahrzehnte die Schnäbel bei Zehntausenden von Finken gemessen und Veränderungen beobachtet, die mit den Umweltbedingungen zusammenhängen“, schnauzte Pérez. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Mein Gott, wir tun so, als würden wir an einer Podiumsdiskussion teilnehmen.“
    Tanriverdi packte ihn am Handgelenk. „Wollen Sie sich lieber in die Ecke setzen und ein wenig heulen?“, fragte er höhnisch. „Vielleicht darüber, dass für Sie der Weg ins Paradies versperrt ist und Ihnen die Qualen der ewigen Verdammnis in der Hölle bevorstehen, die die Ungläubigen erwartet?äubigeartet?“
    Der Peruaner zog seine Hand zurück und starrte den Türken eine Weile schweigend an. Dann senkte er den Blick. „Schauen Sie sich die Birkenspanner in Großbritannien an. Oder …“
    „Sie reden da von verschieden großen oder verschiedenfarbigen Tieren einer Art, die mal häufiger, mal seltener auftreten, ganz wie es Allah gefällt“, entgegnete Tanriverdi.
    Pérez raufte sich seufzend die Haare. „Was ist mit den Haustieren? Die Zucht läuft doch nach ähnlichen Prinzipien ab wie die natürliche Selektion – und funktioniert. Da entstehen neue Rassen, die sich miteinander kaum noch fortpflanzen. Und die Zeitspannen, in denen neue Arten entstehen, sind extrem groß. Deshalb beobachten wir vielleicht nicht das Auftreten vieler neuer Arten, aber wir können Veränderungen beobachten, die den Evolutionsprozess belegen.“
    Er seufzte leise. „Sie malen sich das Universum nach Ihren intellektuellen Vorlieben und begnügen sich mit einem Wesen, dem Sie alle Eigenschaften andichten, die es braucht, um Ihren Glauben zu rechtfertigen.“
    Er richtete sich am Gitter auf und wies zu der Statue hinüber. „Das tun die Leute, die dieses Idol aufgestellt haben, auch. Die sind sicher überzeugt davon, dass es ein Wesen gibt, das so aussieht, ganz bestimmte Eigenschaften hat und Einfluss auf ihr Leben nimmt.“ Seine Beine begannen wieder zu zittern.
    „Und das sich mit Menschenopfern bestechen lässt“, flüsterte er. Dann drehte er sich wieder um. „Wir Christen und die Muslime stellen uns einen allmächtigen, allwissenden Gott vor, der das Universum geschaffen hat, um sein gewaltiges Ohr den Gebeten von Millionen von Menschen zu gewähren. Aber ich wüsste nicht, dass er je darauf reagiert hätte.“ Er hob den Kopf zur Decke. Es wurde bereits wieder dunkler. Ging der Tag tatsächlich schon zur Neige?
    „Oder passiert vielleicht noch was, bevor wir hier verrecken?“, schrie er. Er holte tief Luft. Ruhig fuhr er fort. „Manchmal sieht es ja fast so aus, als ob Gott eingreift. Aber warum versteckt er sich hinter dem Eindruck von Zufall?“
    Er lachte leise. „Ein allmächtiger und allwissender Gott, das ist schon paradox. Weiß Gott heute schon, dass er morgen eingreifen wird, um den Lauf der Geschichte zu verändern? Dann muss er eingreifen, weil er weiß, dass er es tun wird. Dann kann er sich nicht mehr anders entscheiden – und ist also nicht allmächtig. Denken Sie über so etwas noch nach?“
    „Sie meinen wirklich, ich wäre so dumm, mein ganzes Leben in einer Lüge zu leben, dabei sind Sie es, der Allahs Größe einfach nicht sehen will“, rief Tanriverdi. „Ich kann es mir nicht erklären. Ich …“
    Ein Geräusch vom anderen Ende der Halle brachte ihn zum Schweigen.
    Pérez drehte sich langsam um und erstarrte. Was da auf sie zukam … das konnte nicht sein. Atemlos starrte er hinüber. Dann schob er sich langsam von der Tür weg, zurück in den hintersten Winkel der Zelle, machte sich so klein wie möglich, und verbarg das Gesicht hinter seinen Armen. Tanriverdi blieb wie versteinert sitzen und begann, mit bebender Stimme zu beten.
    Sonntag, 21. Juni, östlich des Río Nahuati, Peru
    Die Schritte kamen näher. Es hörte sich an, als würde jemand von einem Bein zum anderen hüpfen und dann kurz verharren. Taptap. Taptap. Das war nicht York und auch nicht d’Albret. Es musste einer der Angreifer sein.
    Wer auch immer es war, er blieb endlich stehen.
    Tilly hörte ein leises Zwitschern. Die Schritte entfernten sich wieder Richtung Hügel.
    Sie drehte den Kopf zur Seite. Einige Zentimeter oberhalb ihres Scheitels war ein Spalt zwischen den

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