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Mythos

Mythos

Titel: Mythos
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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durch die dicke Laubschicht hinterher, die den Dschungelboden bedeckte.
    Er hätte in Génicourt bleiben können. Er hätte Yvonne heiraten können. Er hätte Nicolas adoptieren können. Er hätte im Geschäft ihres Vaters sicher eine Arbeit bekommen. Er hätte ein ganz normales Leben führen können an der Seite der Frau, die er liebte. Was wäre so falsch daran gewesen? Stattdessen marschierte er hier durch den Dschungel. Er wäre mehrmals beinahe gestorben, für nichts. Über seiner Schulter hing ein Mordwerkzeug, mit dem er auf einen Menschen geschossen hatte, um ihn zu töten. Er hatte Dinge gesehen … unglaubliche Dinge.
    Und er wusste, was sie bedeuteten. Er hatte den Blick bemerkt, mit dem MacLoughlin ihn in der Halle der Statue betrachtet hatte, und er konnte sich denken, was in ihrem Kopf vor sich gegangen war, als er sich bekreuzigt hatte.
    Aber ihm war klar, welche Folgen ihre Entdeckung für sein Weltbild hatte. Er wusste, dass es vom ersten Auftreten eines Affen auf der Erde keine 100 Millionen Jahre gedauert hatte, bis ihre Nachfahren die Atombombe entwickelt und den Mond besucht hatten. Die Dinosaurier gab es bereits seit mehr als 230 Millionen Jahren. Vielleicht lang genug, um innerhalb ihrer Ordnung ein Wesen hervorzubringen, das nicht nur ein komplexes Tunnelsystem und einige Werkzeuge herzustellen in der Lage war – das konnten selbst Termiten und Ameisen, die sogar Pilzfarmen anlegten und sich Läuse als Haustiere hielten. Offenbar hatte die Zeit gereicht, dass sich ein Wesen entwickelt hatte, das Abbilder seiner selbst schaffte und versuchte, seine Umwelt und sogar Mächte des Jenseits zu beeinflussen. Mächte, die es sich nach dem eigenen Abbild vorstellte und mit Opfern gnädig zu stimmen versuchte. Die Vorstellung war absurd. Aber schließlich wäre es nicht das einzige Wesen auf diesem Planeten, das diese Eigenschaften besaß. D’Albret wand sich innerlich. Wie sollte man den Priestern der Basilisken erklären, dass Gott nicht aussah wie sie, sondern wie diese nackten Affen, die hier den Wald abholzten, um Drogen anzubauen?
    Gott im Himmel, dach WeHimmel,te er, hilf mir. Alles, an das er bisher geglaubt hatte, wurde durch die Existenz dieser Wesen infrage gestellt.
    Er schob den Gedanken beiseite. Später würde er darüber nachdenken. Bestimmt würde sich dann alles auflösen. Jetzt aber hieß es zu überleben. Überleben, um Yvonne sagen zu können, dass er sich geirrt hatte. Er lebte, er liebte, er würde jetzt nach Hause gehen. Und niemand durfte sich ihm jetzt mehr in den Weg stellen. Niemand!
    Fast hätte er es hinausgeschrien. Trotzig und wütend. Und plötzlich wurde ihm bewusst, dass er frei war zu tun, was er wollte.
    Ein leises Lachen entrang sich seinen Lippen. MacLoughlin, die neben ihm ging, schaute irritiert auf.
    „Geht es noch?“, fragte er, als sie sich stöhnend an die Schulter griff.
    „Was wollen Sie denn machen, wenn ich nein sage?“, fragte sie und grinste ihn an.
    „Vielleicht könnte ich Sie tragen“, antwortete d’Albret. „Aber das täte Ihnen wahrscheinlich genauso weh.“
    Nach etwas über einer Stunde stießen sie auf die ersten Cocasträucher. Dahinter stieg die Landschaft sanft zu einem Hügel an. Es war nicht die Plantage, die Tilly und d’Albret mit York zusammen entdeckt hatten. Aber der Priester erinnerte sich an Daves Bericht. Der Drogenhändler hatte von einer Plantage im Osten des Labors gesprochen. Dort sollte sich laut Dave ein zweiter Eingang zu dem Tunnel befinden.
    „Möchte jemand den Eingang suchen und den Hügel unterirdisch durchqueren?“, fragte d’Albret. „Ich würde den Weg außen herum vorziehen.“
    Niemand widersprach. So leise es ging, liefen sie durch das Feld mit den hohen Cocasträuchern und hielten sich vor dem Hügel dann in Richtung Süden. Bald befanden sie sich wieder im Dschungel. Das Waldstück war nicht sehr breit.
    Sie brachten eine Senke hinter sich, arbeiteten sich einen südlichen Ausläufer des Hügels hinauf und traten oberhalb der Lichtung vor dem Drogenlabor aus dem Dschungel heraus.
    In den zehn Meter langen Rotorblättern des Hubschraubers spiegelte sich die Sonne. Es war still. Mücken summten um die Sträucher. In der Ferne hörte man den Schrei eines Raubvogels.
    Über der Lichtung kreisten zehn, zwölf große, schwarze Vögel. Rabengeier, dachte Pérez. Ihre Kreise waren weniger elegant als die ihres großen Verwandten, des Kondors. Immer wieder stießen sie zu dem Hubschrauber hinab und
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