Mythos
Meter langen Mohrenkaimane – außerdem waren diese Tiere sowieso so gut wie ausgestorben. Auch die Wahrscheinlichkeit, einem seiner bis zu drei Meter langen Verwandten, den Krokodilkaimanen, zu begegnen, war gering. Aber warum sollte er ein Risiko eingehen? Und hier auf der Böschung fühlte er sich sicher.
Er schaute auf den Kompass und bestimmte mit seinem GPS-Gerät die genaue Position. Dann drang er in den Wald vor, um die Umgebung zu erkunden und nebenbei zu überprüfen, ob die Einheimischen neue Siedlungen angelegt hatten, die in den Karten noch nicht eingetragen waren.
Das Unterholz war hier nicht so dicht wie in anderen Amazonasgebieten. Zwischen den bis zu 30 Meter hohen, schlanken Platycarpum-Bäumen mit ihren weißen Blüten und den Carana- undden Carana Catinga-Palmen mit ihren großen, farnähnlichen Blättern, die sich in der Höhe wie Schirme entfalteten, entdeckte er die medizinisch interessanten Almeciga-Bäume, dazwischen drängten sich eine Menge Stauden und Farne. Die Vielfalt der Formen und Anordnungen der hellgrünen Blätter war verwirrend. Doch Pérez konnte zwischen den Pflanzen tief in den Wald hineinschauen. Er brauchte seine Machete kaum einzusetzen, um sich einen Weg freizuschlagen. Hin und wieder markierte er lediglich einen der größeren Bäume mit kreuzförmigen Schnitten, um den Rückweg schneller finden zu können. Der Boden war dicht mit braunem Laub bedeckt. Farbige Bromelien hockten in den Astgabeln und reckten ihre bunten Blütenblätter aus konzentrischen Kreisen harter Blätter in die Luft. Sein Blick fiel auf Orchideen, deren Kelch- und Kronenblätter Pérez an riesige, bunte bizarre Insekten erinnerten. An einigen Stellen hingen rote und orangene Früchte von den Bäumen.
Nachdem er in einem Bogen etwa hundert Meter gelaufen war, kehrte er zum Kanu zurück und baute sein Zelt auf. Es dämmerte bereits. Der schmale Seitenarm des Río Supayacu führte hier ein langes Stück direkt von Osten nach Westen. Die Sonne sank schnell auf ihr Ebenbild im Wasser hinab.
Pérez schöpfte mit einem kleinen Aluminiumtopf Wasser aus dem Fluss. 100 Meter weiter planschte ein kleiner Hirsch durch das flache Gewässer. Pérez sah, wie der Rotmazama kurz zu ihm herüberwitterte und dann mit eleganten Sprüngen das gegenüberliegende Ufer erreichte, wo er im Wald verschwand.
Er stellte den Topf auf den Gaskocher vor dem Zelt. Dann setzte er sich auf die Kunststoffmatte unter dem Vorzelt, zog das Moskitonetz vor sich zu und holte einen Vollkornriegel aus dem Rucksack.
„Master, dinner is prepared“, sagte er laut und überlegte, aus welchem Film das Zitat stammte. Aber er kam nicht drauf.
Als das Wasser zu brodeln anfing, füllte er seinen Becher, hängte einen Teebeutel hinein und machte es sich so gemütlich, wie es unter diesen Umständen möglich war. Am Moskitonetz hatte sich ein nervös summender Schwarm Mücken eingefunden, die nach seinem Blut lechzten. Ein einzelnes Insekt fand den Weg zu ihm ins Zelt und beendete sein Leben zwischen Pérez’ Händen.
Immerhin gab es hier nicht so viele Ameisen wie sonst im Dschungel.
Entspannt trank er seinen Tee und nahm dabei immer deutlicher die Geräusche des abendlichen Urwaldes wahr. Um ihn herum herrschte ein ständiges Zirpen, regelmäßig wie Meeresbrandung, übertönt vom Quaken der Frösche. Doch darauf achtete er nicht. Er wartete auf etwas anderes. Als er plötzlich ein Quietschen hörte, gefolgt von einem abgehackten Gezwitscher, spitzte er die Ohren. Er versuchte, sich zu erinnern, um welche Vogelart es sich handeln könnte, während er das Mikrofon seines kleinen Aufnahmegeräts unter dem Moskitonetz hindurch schob und in Richtung Dschungel ausrichtete.
Deshalb war er hier: Um festzustellen, wie es um die Vielfalt der Vögel in diesem Gebiet bestellt war. Hier – das war im Westen des Dorfes Jeberos im peruanischen Amazonasdschungel im Department Loreto. Das Dorf lag in der Mitte des Dreiecks, das der Río Huallaga im Südosten, der Río Marañón im Norden und die Kordilleren im Südwesten bildeten.
Right in the middle of nowhere. Jeberos war nur mit dem Flugzeug, dem Kanu oder zu Fuß zu erreichen.
Eine Besonderheit der Region hier waren die White-Sand Forests, Gebiete, die sich vor etwa einem Dutzend Millionen Jahren aus der ursprünglichen See- und Flusslandschaft des späten Miozäns herausgehoben hatten und mit den umliegenden Flächen ein Mosaik aus unterschiedlich alten Böden bildeten. Die White-Sand Forests
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