Mythos
über den Augen formten spitze Ohrmuscheln. Der Kopf des Tieres drehte sich ruckartig mal hierhin, mal dorthin, während es Pérez begutachtete. Pérez zog sich langsam wieder zurück, denn er wollte das Tier nicht stören, das sich offenbar in einem Dialog mit einem Artgenossen auf der anderen Seite des Flusses …
Eine Explosion erschütterte den Dschungel. Pérez fuhr zusammen. Sogar der Boden hatte leicht vibriert. Der Knall hatte die Schreieule aufgeschreckt. Sie flog so dicht an ihm vorüber, dass ihre Schwungfedern sein Gesicht streiften.
Danach war der Wald so still, wie Pérez ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Jedes Lebewesen schien wie er atemlos in die Stille zu lauschen. Nur die Grillen zirpten unbeeindruckt weiter.
Pérez drehte sich um und kehrte nachdenklich zu seinem Zelt zurück. Die Explosion war nicht weit weg gewesen. Wäre da ein Flugzeug oder Hubschrauber abgestürzt, dann hätte er die Maschine zuvor hören müssen. Es gab eigentlich nur eine Ursache für das Geräusch, die Sinn ergab: Eine der Ölfirmen, die im peruanischen Dschungel auf Lagerstätten hofften, hatte eine seismische Messung vorgenommen.
Er hatte davon gehört. Die Methode war rustikal, wurde aber, vor allem in unzugänglichen Gebieten, noch immer angewandt: In ein senkrechtes Bohrloch wurde Dynamit gepackt, während in der Umgebung eine Reihe von Geofonen die Schwingungen der Erdoberfläche aufzeichneten. Wurde die Sprengladung gezündet, verrechnete ein Computer die Daten der Messgeräte zu einer Karte des Untergrundes, da die verschiedenen Gesteinsschichten und sonstigen Bestandteile des Bodens die Schockwellen der Explosion unterschiedlich stark reflektierten. Auf diese Weise konnten die Geologen Ölvorkommen feststellen.
Jetzt war ihm auch klar, wieso die Shawi so schlechte Laune hatten. Ölbohrungen im Dschungel bedeuteten massive Umweltzerstörung durch Abholzung des Waldes, das Anlegen von Camps, Straßen und Pipelines. Ölförderung war das Ende ihrer Jagd. Das Ende ihres bisherigen Lebens.
Als er sein Zelt erreicht hatte, war es dunkel. Er holte seine Taschenlampe und den Kompass heraus und notierte sich die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Vielleicht würde er morgen nachsehen, was dort los war.
Während der nächtliche Dschungel wieder zum Leben erwachte, legte er sich hin und versuchte zu schlafen.
Als er aufschreckte, war es finster. Etwas hatte ihn im Schlaf gestört. Er schaltete die Taschenlampe ein und schaute auf die Uhr. Es war erst eine halbe Stunde seit der Explosion vergangen. Er lauschte. Das Konzert der Grillen nahm er kaum noch wahr. Aus dem Süden klang der schrille Pfiff eines Flachlandtapirs herüber. Das vereinzelte Rufen dieser und anderer nachtaktiver Tiere sollte ihn eigentlich nicht stören, dachte er. Wieso …
Aus weiter Ferne ertönte ein Schrei. Pérez zuckte zusammen. Das klang nicht nach einem Tier. Pérez richtete sich auf. Wieder ertönte, weit weg, ein Schrei. Er bekam eine Gänsehaut. Kein ihm bekanntes Tier stieß solche Laute aus. Das war ein Mensch, der seine Angst oder seinen Schmerz hinausbrüllte.
Jetzt glaubte er, sogar einen schwachen Hilferuf gehört zu haben.
Eine leichte Brise fuhr zwischen die Blätter der Bäume am Ufer. Ihr Rascheln übertönte die Geräusche aus dem Dschungel. Dann meinte Pérez, gleich eine ganze Reihe von Stimmen zu erkennen, alle gleichermaßen in Panik. Der Ursprung der Geräusche lag ungefähr in der Richtung, aus der auch die Explosion herüber geklungen war.
Plötzlich peitschte ein einzelner Schuss. Dann wurde es still.
Pérez hatte die Arme fest um den Oberkörper geschlungen. Jetzt griff er hastig nach der Taschenlampe und machte sie aus. Er wollte nicht, dass jemand durch den Lichnikrch dentschein angelockt wurde. Angespannt horchte er auf Geräusche jenseits der dünnen Zeltplane. Die Kopfhaut über seinen Ohren hatte sich zusammengezogen.
Es blieb still. Nach einer Stunde sank ihm das Kinn auf die Knie. Die Augen fielen ihm zu. Was immer geschehen war, es schien vorbei zu sein. Er streckte sich aus, schloss die Augen und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf.
Samstag, 6. Juni, bei Jeberos, Peru
Eine Gruppe Roter Brüllaffen weckte Pérez. Die Tiere machten ihrem Namen alle Ehre. Sie hockten einige Hundert Meter entfernt in den Bäumen und lieferten sich offensichtlich das obligatorische morgendliche Schreiduell mit einer zweiten, weit entfernten Gruppe. Er gähnte und streckte sich.
Als sein Blick auf die
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