Mythos
und ich flehte die Mutter Gottes um Hilfe an und gelobte, eine Wallfahrt zum Grab des heiligen Jakobus zu unternehmen, so sie mir in meiner Not beistehen würde. Mit der Hilfe der Heiligen Jungfrau gelang es mir, das Kanu zu finden und allein zu dem Indiodorf zurückzukehren und weiter nach San Juan de la Frontera.
Ich berichtete allen von meiner Begegnung mit dem Teufel, die ohne Zweifel die Strafe für meine schweren Sünden war. Doch niemand wollte mir glauben bis auf einen Deutschen, der zu Gast war bei Luis Valera. Sodann beschloss ich, nach Spanien zurückzukehren, wo ich mein Gelöbnis wahr machen will.“
D’Albret lehnte sich zurück. Der alte Holzstuhl ächzte unter dem Gewicht des Priesters.
„Interessant. Eine Begegnung mit dem Teufel“, sagte er nachdenklich. „Das entspricht zwar nur in Teilen den mir bekannten Beschreibungen oder Darstellungen des Teufels, aber der hat ja bekanntlich viele Namen und Gestalten: Satan, Luzifer, Asmodi, Astarot, Abbadon, Beelzebub, Samiel, Urian, Mephistopheles, Belial, Belphegor, Behemot und so weiter. Manche sehen den Teufel in der Schlange im Paradies, das ist noch mit die ansehnlichste Darstellung. Meist sind es eher furchtbare Gestalten, haarig, mit Schwänzen und Hörnern, Pferdehufen und Bocksbeinen.“ D’Albret lächelte. „Aber vielleicht ist dieser Konquistador ja auch nur einem der Ober- oder Unterteufel der 6666 höllischen Legionen unter Satans Kommando begegnet.“
Er wischte sich über die Lippen. „Das meiste, was man so über den Teufel hört, ist völliger Unsinn und steht auch nicht in der Bibel. Jedenfalls nicht in den Texten, die in deren Kanon aufgenommen wurden.“
Tilly legte den Kopf schief. „Glauben Sie als katholischer Priester etwa nicht an den Teufel?“
„Doch, natürlich“, sagte d’Albret energisch und wippte mit dem Stuhl, sodass dieser nur noch auf zwei Beinen stand. „Und ich bin auch davon überzeugt, dass Satans geschickter Plan in der Welt darin besteht, die Menschen zu veranlassen, seine Existenz zu leugnen, sei es im Namen der Rationalität oder auch jedes anderen Denksystems, daeufksystems zu allen möglichen Ausflüchten greift, nur um sein Wirken nicht eingestehen zu müssen.“ Er ließ den Stuhl wieder nach vorn kippen. „Das war ein Zitat von Johannes Paul II.“
„Da ist Ihr verstorbener Boss aber einer sehr interessanten Logik gefolgt“, sagte Tilly nachdenklich. „Jeder, der die Existenz des Teufels aus rationalen Erwägungen heraus ausschließt, bestätigt so seine Existenz. Schließlich verrät er sich auf diese Weise als Werkzeug der teuflischen Verschleierungstaktik.“ Sie kratzte sich am Kopf. „Also, diesen Zirkelschluss nenne ich einen echten Teufelskreis.“
D’Albret ging nicht darauf ein. Oder, vermutete Tilly, er hatte ihr überhaupt nicht zugehört. Der Priester schaute nachdenklich in seine Kaffeetasse. „Einen direkten Zusammenhang mit der Heiligsprechung von Bartolomé de Las Casas sehe ich zwar nicht, aber interessant ist das natürlich schon.“
Er zeigte mit dem Daumen zur der kleinen Kanne aus Metall hinüber, die noch auf dem Ofen stand. „Noch einen?“
„Gern.“
D’Albret schob die Papiere zu ihr hinüber. „Und? Können Sie nun tatsächlich etwas damit anfangen?“, fragte er und stand auf, um die Kanne mit Wasser zu füllen.
Tilly legte die Hand flach auf die Kopien. „Ich … vielleicht.“
„Und darf ich auch fragen, was?“
Tilly starrte auf die breiten Schultern des Priestern. Sie war auf diese Frage nicht vorbereitet. Gegenüber Belotti hatte sie ihr Interesse an dem Brief von Gaspar Riz de Santo Galo damit begründet, dass es für sie als Deutsche sehr interessant sei, etwas über Konquistadoren aus Deutschland oder der Schweiz zu erfahren. Aber de la Torre und der Teufel?
„Padre Belotti ist im Archiv auf den Brief eines Schweizer Landsknechtes an einen deutschen Konquistador in Venezuela gestoßen, der bei Dokumenten zu Las Casas lag“, antwortete sie. „Juan de la Torre hatte diesen Brief 1539 in Santo Domingo dabei, wo er auf ein Schiff nach Spanien gewartet hat. Dort hat er Las Casas kennengelernt, und der hat Torres Brief nach dessen Tod nicht nach Venezuela weitergeschickt, sondern behalten.“
D’Albret lehnte mit dem Ellenbogen auf der Arbeitsfläche neben Ofen und Spüle und hörte zu. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie grün seine Augen waren. Seine Augenringe wirkten wie mit einem Eyeliner gezogen und standen extrem im Kontrast zur
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