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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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ebenfalls die damals am kaiserlichen Hof üblichen Chiffriermethoden angewandt. Das Gleiche würde dann wohl auch für Caspar Ritz gelten. Der Text, den sie in Händen hielt, war also vermutlich nach einer relativ einfachen Substitutionsmethode verfasst worden.
    Bei der monoalphabetischen Substitution wurde jeder Buchstabe des Alphabets durch einen anderen Buchstaben oder ein Symbol ersetzt. Nach diesem Prinzip der sogenannten Caesar-Verschiebung arbeiteten viele Chiffrierscheiben. Auf zwei konzentrischen Metallringen war jeweils ein Alphabet graviert. Der äußere Ring ließ sich so um den inneren drehen, dass jedem Buchstaben jeweils ein anderer zugeordnet war. Wusste man, wie die Scheibe einzustellen war, ließ sich eine geheime Botschaft einfach entschlüsseln. Anstelle des zweiten Alphabets konnte man natürlich auch Symbole verwenden, die die Buchstaben ersetzten.
    Allerdings waren die Kryptoanalytiker relativ schnell dahintergekommen, wie sich diese Verschlüsselung knacken ließ: Häufigkeitsanalyse.
    Man zähltdie >Man ze, wie oft ein Buchstabe oder Symbol in einem Text vorkam und ordnete sie dementsprechend an. Dann stellte man eine Statistik darüber auf, wie häufig Buchstaben in der Sprache, von der man annahm, dass der Text darin verfasst wurde, im Durchschnitt verwendet wurden.
    Nun versuchte man, den häufigsten Geheimbuchstaben mit dem häufigsten Klarbuchstaben zu ersetzen. Wenn das klappte, Glückwunsch.
    Aber meist klappte es nicht, denn eine geheime Botschaft entsprach eben nicht immer hundertprozentig dem Durchschnittstext. Im nächsten Schritt suchte man deshalb nach Bi- und Trigrammen, das heißt Wörtern mit zwei oder drei Buchstaben. Auch Leerstellen waren sehr wichtig.
    Tilly zog die Kopien des verschlüsselten Textes aus der Umhängetasche und seufzte erleichtert. Deutlich waren Leerzeichen zwischen den Symbolgruppen und auch Gruppen von zwei oder drei Symbolen zu erkennen. Sie erinnerte sich vage, vor langer Zeit einer ganz ähnlichen Erklärung begegnet zu sein. Dann fiel es ihr wieder ein. Natürlich: Der Goldkäfer von Edgar Allan Poe.
    Da es darin um einen alten Piratenschatz ging, hatte sie die Geschichte natürlich gelesen. Dort hatte ein gewisser Legrand eine Botschaft des Piratenkapitäns William Kidd mit der Häufigkeitsverteilung der Buchstaben in englischen Texten entschlüsselt.
    Sie musste also die Symbole in Ritz’ Derrotero zählen und herausfinden, wie häufig bestimmte Buchstaben in der deutschen Sprache im Durchschnitt vorkamen.
    Sie blätterte weiter in dem Buch, überflog das Kapitel, in dem Singh beschrieb, wie die schottische Königin Maria Stuart 1586 vom Gefängnis in England aus über verschlüsselte Briefe mit einer Gruppe von Anhängern kommuniziert hatte.
    Die Verschwörer hatten auf die bereits überholte monoalphabetische Substitution gesetzt, und so wurde ihr Plan aufgedeckt, die englische Königin Elisabeth zu töten und Maria zu befreien. Das hatte schließlich dazu geführt, dass die katholische Königin der Schotten 1587 hingerichtet wurde. Auch diese Geschichte bestärkte Tilly in der Hoffnung, dass Ritz ebenfalls eine solche Substitution angewandt hatte.
    Sie schaute auf die Uhr. Vielleicht war es Zeit, Rob anzurufen.
    Sie packte das Buch in ihre Tasche. Mit dem Mobiltelefon in der Hand stand sie auf und wählte Robs Nummer.
    „Señora!“ Ein älterer Mann stand vor ihr und wies aufgeregt über ihre Schulter.
    Sie drehte sich um und erschrak. Ein Jugendlicher beugte sich über die Bank und zerrte an der Tasche, in der sich ihr Laptop befand. Und der verschlüsselte Text. Der Riemen hatte sich in der Rückenlehne verhakt.
    Ohne nachzudenken, stürzte sie sich auf den jungen Mann und drosch auf ihn ein. Der Dieb riss noch einmal an der Tasche, dann hielt er sie in den Händen und rannte los. Nein, dachte Tilly. Da hast du dir die Falsche ausgesucht. Sie rannte ihm nach, so schnell sie konnte.
    „Ladrón!“, rief sie. „Un ladrón!“
    Doch statt nach dem Dieb zu greifen, sprangen die Menschen zur Seite. Der Junge war schnell – und er verließ sich darauf. Jedenfalls schaute er sich nicht um, sondern wich geschickt den Passanten aus, die auf dem Platz spazierten, überquerte die Straße und bog in die Méndez Nuñéz ein. Er lief locker und entspannt, hielt sich in der Mitte auf dem schmalen Fahrstreifen zwischen den parkenden Autos links und den Fußgängern rechts und vergrößerte langsam den Abstand zu seiner Verfolgerin. Dann lief er in die

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