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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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blassen Haut. Vermutlich hatte sich dieser Mann als Jugendlicher vor Freundinnen kaum retten können. Und dann wurde er Priester?
    Ihre nachdenkliche Pause war etwas zu lang geworden. D’Albret hob irritiert die Augenbrauen.
    Tilly blickte hastig zur Seite. „Ich habe diesen Brief von dem Schweizer übersetzt, aber er war für Padre Belotti nutzlos. Ich möchte versuchen, darüber einen wissenschaftlichen Artikel zu schreiben und …“
    D’Albret runzelte nachdenklich die Stirn. Aber er unterbrach sie nicht. Sie zeigte auf die Papiere auf dem Tisch.
    „Und ich denke, Juan de la Torre kann mir helfen, den Brief in den historischen Kontext einzuordnen.“
    Sie lächelte, stolz auf die Formulierung, die ihr gerade erst eingefallen war.
    D’Albret nahm die Kanne vom Ofen und füllte ihre Tassen. Dann setzte er sich wieder. „Wenn Sie das so mit Padre Belotti ausgehandelt haben …“
    Er reichte Tilly die Milch und nippte an seiner Tasse. „Dann ziehen wir diese Kopien durch das Fax-Gerät und Sie haben eine Kopie der Kopie“, schlug er vor.
    Sie trank ihren Kaffee aus und stand auf. „Dann machen wir das so“, sagte sie und stellte Tasse und Teller in die Spüle. D’Albret stand ebenfalls auf.
    Es dauerte nur einige Minuten, dann hatte Tilly ihre Kopien. D’Albret brachte sie zur Tür.
    „Vielleicht sehen wir uns ja mal im Archiv?“ Er reichte ihr die Hand. „Und lassen Sie sich nicht wieder überfallen.“
    Als sie auf die Straße hinaustrat, fuhr sie erschrocken zurück. Eine Gruppük. Einepe junger Leute knatterte auf Motorrollern an ihr vorbei. Eigentlich hätte sie sich schon längst daran gewöhnen müssen. Sie rieb sich nervös über die Stelle, wo sie am Abend der Elektroschocker erwischt hatte und ging los.
    Sie hatte am Abend zuvor über den Internetzugang im Fernsehraum ihres Hotels mit dem Laptop ein wenig recherchiert, um einen Einstieg in die Geschichte der Verschlüsselung von Texten zu finden, aber ohne großen Erfolg. Sie würde sich Fachliteratur besorgen müssen. Sie spazierte durch die Straßen von El Arenal Richtung Nordosten, bis sie die Calle de Velázquez erreicht hatte. Sie bevorzugte kleine Buchhandlungen, doch sie wollte kein Risiko eingehen. Die Erfolgsaussichten, auf gut Glück ein passendes Sachbuch zu finden, ohne es bestellen zu müssen, waren in der Filiale der Buchhandlungskette Casa del Libro vermutlich am höchsten. Sie betrat die hohen, hellen Räume des Geschäfts und überflog mit den Augen die grünen Regale an den Wänden. Im hinteren Bereich, wo die Buchhandlung sich zu zwei Stockwerken erweiterte, wurde sie fündig.
    Los Códigos Secretos von Simon Singh war zwar schon zehn Jahre alt, doch hier, zwischen schwachsinnigen Büchern über die Kabbala und den geheimen Bibelcode, schaute immerhin eine echte Chiffrierscheibe wie ein grünes Auge mit runder schwarzer Pupille auf sie herunter. Der Autor versprach, in die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internets einzuführen. Sie kaufte das Taschenbuch.
    Nach etwa hundert Metern hatte sie die Plaza Nueva mit dem Reiterdenkmal von Rey San Fernando erreicht. Sie setzte sich auf eine der eisernen Bänke unter den Palmen. Schmale Grünanlagen trennten den Platz mit seinem Mosaik aus rot-blau-weißen Linien, die sie an ein Mühlespiel erinnerten, von den umliegenden Banken und Geschäften. Im Osten schloss er mit dem Rathaus ab, einem Renaissancebau, von dem hier allerdings nur die neoklassische Erweiterung zu sehen war.
    Sie suchte sich die Kapitel über die Zeit der Renaissance heraus und begann zu lesen.
    Die spanischen Kryptografen, so erklärte Singh in seinem Buch, hatten sich während des 16. Jahrhunderts noch auf die sogenannte monoalphabetische Substitution verlassen. Das hatte ihr Professor Ortenburg bereits gesagt. Zu dieser Zeit war es für die Franzosen allerdings schon lange kein Problem mehr gewesen, solcherart verschlüsselte Botschaften zu lesen. Philipp II. von Spanien hatte sich deshalb beim Papst darüber beschwert, dass der Kryptoanalytiker des französischen Königs mit dem Teufel im Bunde stehen müsste. Die Fachleute im Vatikan aber lasen selbst schon lange die spanischen Geheimtexte. Der Papst sah deshalb davon ab, ein kirchliches Tribunal einzuberufen. Und die spanischen Kryptografen waren der Lächerlichkeit preisgegeben.
    Philipp von Hutten hatte Professor Ortenburg zufolge als vertraulicher Kurier für Kaiser Karl V. gearbeitet, überlegte Tilly. Er hatte vermutlich

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