Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
Vom Netzwerk:
nächste Nebenstraße hinein.
    Tilly hörte Bremsen quietschen, einen Schlag und einen Fluch. Eine Sekunde später war sie da. Der Dieb war einem Taxi vor die Kühlerhaube gelaufen. Bevor er sich aufrappeln konnte, war Tilly über ihm und stürzte sich auf ihre Tasche.
    „Un ladrón!“, rief sie wieder.
    Der Taxifahrer war ausgestiegen und reagierte sofort. Er versuchte, nach dem jungen Mann zu greifen. Der warf sich zur Seite, kam blitzschnell he sitzschnoch und rannte an der Beifahrertür des Wagens vorbei. Der Taxifahrer folgte ihm einige Meter, dann kehrte er schnaufend zu seinem Wagen zurück, hob die Schultern und machte eine bedauernde Geste in Richtung der eindrucksvollen Fettpolster in seiner Körpermitte.
    Mit zitternden Knien umklammerte Tilly ihre Tasche und blickte dem erfolglosen Dieb nach. Der junge Mann lief nicht mehr, sondern war etwa 20 Meter weiter stehen geblieben, hatte sich umgedreht, schaute sie an und hob die Hand zu einer obszönen Geste. Dann beugte er sich zu einem silberfarbenen Wagen hinunter und sprach mit dem Fahrer. Irritiert machte Tilly einen Schritt auf das Fahrzeug zu. Das Auto fuhr los und verschwand in einer Nebengasse. Der Dieb überquerte die Straße und war ebenfalls nach einer Sekunde nicht mehr zu sehen. Tilly zuckte zusammen, als sich ihr eine große Hand auf die Schulter legte.
    Der Taxifahrer schaute sie besorgt an. „Todo bien?“
    „Si“, sagte sie und versuchte zu lächeln. „Todo bien.“
    Das feiste Gesicht lächelte zurück. „Taxi?“
    „Claro!“, seufzte sie.
    Während sie sich ins Hotel zurückbringen ließ, dachte sie darüber nach, was passiert war. Viele Menschen waren auf der Plaza Nueva unterwegs gewesen, vor allem Touristen. Darunter viele ältere Menschen. Warum hatte der Dieb sich ausgerechnet sie ausgesucht? War ihre alte, abgenutzte Ledertasche so attraktiv? Es war ja nicht einmal eine typische Laptoptasche.
    Und wieso hatte ein Auto auf den Dieb gewartet? Denn dass der junge Mann dort zufällig auf einen alten Bekannten gestoßen war, glaubte sie nun wirklich nicht. Vielleicht gehörte der Jugendliche zu einer Bande, die ihre Diebstähle so organisierte? Oder jemand hatte es ganz gezielt auf ihre Tasche mit den Dokumenten abgesehen?
    Hastig öffnete sie die Tasche. Erleichtert ließ sie sich zurückfallen. Die Papiere waren alle noch da.
    Das Taxi ließ sie vor dem Hostal Florida aussteigen.
    Die alte Dame an der Rezeption hielt sie auf. „Sie haben Ihren Besuch verpasst.“
    Tilly runzelte die Stirn. „Ich kenne niemanden in Sevilla.“
    Die Frau zog sich eine Haarnadel aus dem schwarzen Dutt, brachte ihre Frisur in Ordnung und stieß die Nadel zurück in die Haare. „Also, dieser Mann kannte auf jeden Fall Sie. Sie sind doch Señora Tilly. Oder nicht?“
    Ein Schwindelgefühl ergriff Tilly. Wer …? Vielleicht war es der Priester gewesen, d’Albret? Hatte sie ihm ihre Adresse gegeben? Sie konnte sich nicht erinnern.
    „Wie hieß der Mann?“, fragte sie.
    „Das weiß ich doch nicht.“ Die alte Dame zupfte an den Fransen des bunten Tuches herum, das ihr über die Schultern hing und verzog das Gesicht. „Das geht mich ja wohl nichts an.“
    „Vielleicht könnten Sie ihn beschreiben?“, fragte Tilly.
    „Ich weiß nicht. Groß, schlank, dunkle Haare. Und er hatte einen Anzug an.“
    Es war also tatsächlich der Priester gewesen, dachte Tilly. Aber wieso …?
    „Und er war bestimmt 15 oder 20 Jahre älter als Sie“, beendete die Frau die Personenbeschreibung mit deutlicher Ablehnung in der Stimme.
    Tilly drückte sich die Tasche an die Brust. Dann war es nicht d’Albret gewesen.
    Wurde sie also tatsächlich verfolgt? War der Versuch, ihre Tasche zu stehlen, kein Zufall gewesen? Sie wurde blass. Belottis Mörder war hinter ihr her. Der Killer.
    Sie stützte sich auf der Theke ab, hinter der die alte Dame in einem Rollstuhl saß.
    „Was hat dieser Mann denn gemacht?“, fragte sie leise.
    „Was wird er gemacht haben? Auf Sie gewartet hat er.“
    „Wo? Wie lange?“
    Die Dame schob die Lippen vor und krauste die Nase. „Im Fernsehraum. Vielleicht eine halbe Stunde. Dann ist er wieder gegangen.“
    Der Fernsehraum war ein Zimmer, in dem die Gäste sich darum streiten konnten, welches Programm man gemeinsam schaute. Ein Raums wte. Ein, den man von hier aus nicht im Blick hatte. Jemand konnte dort warten – oder so tun, als ob er wartete. Tilly lief die Treppe hinauf und wollte die Tür zu ihrem Zimmer aufschließen. Doch die war

Weitere Kostenlose Bücher