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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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mit sich selbst nicht ins Reine gekommen war.
    MacLoughlin lehnte sich zurück. Eine Fallbö drückte den Airbus nach unten, und sie hob ein wenig vom Sitz ab. Aus den Passagierreihen war hier und dort ein erschrockener Ruf zu hören. Das Anschnallzeichen leuchtete auf. Ein Mitglied der Crew erklärte, man sei in leichte Turbulenzen geraten.
    MacLoughlin klappte ihren Laptop auf. Der Vatikan hatte ihr per E-Mail einen Bericht über das angebliche Wunder von Jaén geschickt. Sie erinnerte sich mit einem Lächeln daran, wie ihr der Vertreter des Vatikans erklärt hatte, wieso man ausgerechnet sie gebeten hatte, Zweifel anzumelden.
    „Sie sind ja eine ausgewiesene Religionskritikerin“, hatte Monsignore Fagiolo von der Congregatio de Causis Sanctorum erklärt. „Aber Sie haben sich immerhin auf seriöse Weise geäußert, als Mutter Teresa seliggesprochen wurde.“
    Sie öffnete die E-Mail und las.
    Missionsdominikanerinnen vom heiligen Sixtus betrieben in den Bergen nördlich der peruanischen Provinzhauptstadt Jaén ein kleines Ordenshaus. Ein vierjähriges Mädchen namens Luisa war vor einem halben Jahr von der Mutter mit hohem Fieber, Schüttelfrost und Krämpfen zu den Schwestern gebracht worden. Die Dominikanerinnen hatten die Kleine in eine Arztpraxis des Vikariats in Jaén gefahren. Einer der Ärzte, die hier stundenweise umsonst arbeiteten, hatte eine Meningokokkeninfektion diagnostiziert. Trotz fehlender Krankenversicherung hatte er das Personal des Krankenhauses dazu bewegt, die Kleine aufzunehmen und zu isolieren.
    Dann war sie ins Koma gefallen. Hirnhautentzündung, schwere Blutvergiftung,pratvergif Lungenversagen.
    Die Ärzte hatten das Kind aufgegeben.
    Nicht aber die Dominikanerinnen. Drei Ordensschwestern und die Mutter hatten sich bei der Beutel-Masken-Beatmung abgewechselt und das Mädchen über einen Venenkatheter mit Elektrolyt- und Nährstofflösungen versorgt. Und alle vier Frauen hatten in Schichten zu Bartolomé de las Casas gebetet.
    Nach fünf Tagen war das Mädchen wieder aufgewacht. Geschwächt, aber gesund. Umgehend hatten die Dominikanerinnen das Ereignis dem Bischof gemeldet. Mit dem Einverständnis Roms waren ein Postulator und ein Glaubensanwalt bestimmt worden, die das Wunder vor Ort untersuchen sollten. Und man hatte ausgerechnet sie, MacLoughlin, eingeladen, Einwände zu erheben. Da hatten sie die Richtige gerufen.
    Immerhin versuchte sie wirklich zu verstehen, warum die Menschen taten, was sie taten, und warum sie glaubten, was sie glaubten. Etwa daran, dass Gott im Krieg ausgerechnet auf ihrer Seite stand. Dass man Autos segnen konnte. An Wunder.
    Ihr kam die Idee dahinter völlig absurd vor. Aber die Vertreter des Vatikans waren doch keine Idioten. Papst Benedikt XVI. wurde von vielen Menschen geradezu als Philosoph betrachtet. Wie kamen diese Leute also zu ihrer Überzeugung?
    Und was sollte diese Sache mit den Heiligen?
    MacLoughlin hatte sich zu dieser Frage Material, vor allem Predigten des Papstes, aus dem Internet gezogen. Vielleicht fand sie darin Antworten.
    Der Apostel Paulus, las sie, hatte gesagt, dass es eine erneuerte und bessere Welt geben würde, wenn der Mensch sich erneuerte. Das Denken des alten Menschen war vor allem auf Besitz, Wohlbefinden und Erfolg ausgerichtet. Aber, erklärte der Papst, nur die aufrechte Suche nach dem Wahren, Guten, Schönen konnte eine Zukunft bieten. Die Heiligen sollten darin Vorbilder sein.
    Schön, dachte MacLoughlin. Aber wer entschied eigentlich, was das Wahre, Gute und Schöne war?
    Die Wahrheit war der Widerschein der ewigen Weisheit des Schöpfergottes, aus deren Licht der Mensch schöpfen musste. Gut, überlegte MacLoughlin, nehmen wir einmal an, es würde so einen Schöpfergott geben. Wie sollte man den Widerschein seiner Weisheit erkennen, der irgendwie als Licht in unsere Welt fallen sollte?
    Man musste lernen, den Willen Gottes zu verstehen, sagte Paulus. Dann würde dieser Wille unseren Willen formen, damit wir erkannten, dass das, was Gott wollte, schön und gut war. Und wie lernte man, den Willen Gottes zu verstehen? Indem man lernte, am Denken und Wollen von Jesus teilzuhaben.
    Paulus forderte, sich von der Liebe geleitet an die Wahrheit zu halten. Und die Wahrheit über die Welt und über uns selbst, erklärte der Papst, würde sichtbar, wenn wir auf Gott schauten.
    Und wie, überlegte die Journalistin, soll ich auf Gott schauen?
    Gott wurde im Antlitz Jesu Christi sichtbar. Man musste also die Evangelien und

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