Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
Vom Netzwerk:
anzusprechen. Ich habe auch keinen Respekt vor akademischen Würden.“ Sie schüttelte reihum die Hand. Als sie sich an Nora Tilly wandte, hob sie neugierig die Augenbrauen.
    „Ich gehöre eigentlich nicht dazu“, sagte Tilly. „Ich habe nur dasselbe Ziel.“
    „Zu beweisen, dass es Wunder gibt?“
    „Ach, nein.“ Sie lachte. „Ich muss auch Richtung Jaén. Kardinal Merdrignac hat mir angeboten mitzufliegen.“
    „Sehr christlich. Und nehmen Sie mich auch mit ins Hotel?“, fragte sie den Kardinal.
    Merdrignac öffnete die Arme. „Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen. Denn der Herr lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“, sagte er. „Natürlich nehmen wir Sie mit ins Hotel.“
    „Wunderbar“, sagte die Journalistin. „Aber wer sind die Guten, wer die Bösen?“
    Merdrignac hob abwehrend die Hände. „Ich denke, wir haben noch genug Zeit, solche Fragen zu diskutieren, wenn Sie das wirklich wollen, Frau MacLoughlin.“ Er lächelte. „Aber vergeben Sie mir, jetzt bin ich ein wenig zu müde dafür.“
    „Wenn Sie mir keinen Matthäus mehr um die Ohren hauen, bin ich auch still.“
    Erstaunt hatte Tilly die fast fröhliche Auseinandersetzung verfolgt. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Arie van der Merwe die Gruppe durch das Objektiv seiner Kamera beobachtete. Er winkte ihr zu.
    „Also dann“, sagte Tilly zu den Geistlichen. „Wir sehen uns morgen hier wieder.“
    „Ich hatte schon gedacht, dass du jetzt einfach verschwindest“, sagte der Niederländer und kratzte sich am Kinn. „Es ist doch schöner, wenn man nicht allein in eine fremde Stadt geht, sondern mit eine Mensch, den man schon kennt.“
    Er nickte zu der Gruppe um den Kardinal hinüber, die von ihrem kleinen Begrüßungskomitee zu einer riesigen schwarzen Mercedes-Limousine geführt wurde. „Du kennst wichtige Leuten, was?“
    „Kennen ist zu viel gesagt“, antwortete sie. „Den jungen Priester habe ich in Sevilla kennengelernt, und die ganze Gruppe muss nach Jaén. Ich kann morgen mit ihnen fliegen, weil ich nach Chachapoyas will, das in der Nähe liegt.“
    Van der Merwe kniff die Lippen zusammen. „Da hast du Glück. Weißt du schon, wo du dort wohnen wirst?“
    Tilly hatte keine Ahnung, und das sagte sie ihm.
    Er schulterte seinen Rucksack, und sie gingen in Richtung Ausgang.
    „Aber heute Abend übernachtest du im Hostal Roma, oder?“, fragte er.
    Tilly lächelte. „Richtig. Und jetzt schauen wir uns Lima an.“
    Sie kämpften sich durch die Meute der Taxifahrer vor dem Ausgang und ene Gsgang utschieden sich für einen älteren Mann als Fahrer. Das Taxi fädelte sich in das Verkehrschaos vor dem Flughafen ein. Es gab offenbar nur zwei Verkehrsregeln: An roten Ampeln hielt man an, damit Straßenkinder und Bettler Gelegenheit hatten, Bonbons, Kalender, Straßen- und Postkarten zu verkaufen oder akrobatische Kunststückchen vorzuführen. Und man musste, so oft es ging, auf die Hupe drücken.
    Sie überquerten die Brücke über den brauen Río Rimac mit seinen sandigen Ufern. Fassungslos beobachtete Tilly Menschen, die mit Stöcken in riesigen, dampfenden Abfallbergen stocherten. Direkt neben der Müllhalde spielten junge Männer auf einem Fußballfeld.
    Nach einer Weile bog das Taxi Richtung Osten ab. Am Straßenrand wechselten sich Industriebaracken mit aus groben Ziegeln errichteten Häusern ab, bunte und flache Würfel unterschiedlicher Höhe, von denen die Farbe abbröckelte. Dazwischen warben riesige Plakate internationaler Firmen für die Symbole eines Lebensstandards, von dem die Menschen, die hier wohnten, nur träumen konnten. Hölzerne Strommasten ragten links und rechts und vom sandigen Mittelstreifen in die Höhe und spannten bis in die Ferne ein weitmaschiges Netz von Kabeln über die schnurgerade Straße.
    Siebeneinhalb Millionen Menschen drängten sich in der Metropole, die eingezwängt zwischen dem Pazifik und den Anden immer weiter in die Täler hinein und die sandigen, trockenen Hänge der Berge hinauf wuchs. Die Barackensiedlungen ohne Strom, Wasser und Abwassersystem fingen einen stetigen Zustrom mittelloser Landbewohner auf, während sich die Reichen in ihren Vierteln verbarrikadierten.
    Es war angenehm kühl. Die ersten Hochhäuser tauchten auf. Sie kamen auf eine vierspurige Straße und kämpften sich durch eine lange Schlange bunter Busse.
    Das Hostal Roma stellte sich als schönes, kleines Gebäude mit einer gelben

Weitere Kostenlose Bücher