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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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war kaputt. Da mein Blick längere Zeit daran hängenblieb, sagte sie:
    »Wollt ich schon die ganze Zeit reparieren, war mir aber dann immer zu lästig, du weißt schon.« Eine stinknormale Ausrede.
    Nur die Bücherregale verrieten etwas über ihre Person. Ein Haufen alter Schmöker in westlichen Sprachen, Bilderbücher, Fotobände … Dickens, Henry Miller … Camus, Yukio Mishima … alte Taschenbücher, Modejournale, Comics, Illustrierte.
    Ein einziger Flickenteppich.
    »Du bist ja nicht gerade üppig eingerichtet«, sagte ich. An Wohnkultur verschwendet sie ihre Liebe jedenfalls nicht, dachte ich. Anscheinend konnte sie diesbezüglich nur in den Dimensionen des Kastens denken, den ich gerade bewunderte.
    »Willste kalten Tee?« fragte sie, ging in die Küche zum Kühlschrank und goß mir ein Glas ein. Ich nahm einen Schluck. Es war Blutreinigungstee!
    »Schmeckts?«
    »Ekelhaft!«
    Sie lachte. »Hab ich geschenkt gekriegt, da, wo ich jobbe. Wenn du ausgetrunken hast, schütt ich Kaffee auf. Gut?«
    Die Eclairs aßen wir am Küchentisch. Auf dem Balkon hing ein Windglöckchen. Es bimmelte nervtötend.
    Die Wohnung war absolut ungemütlich. Man kam in der Nähe ihres unausgeglichenen Wesens einfach nicht zur Ruhe. Doch wenn man wegging von ihr, hatte man dafür immer das Gefühl, irgend etwas nicht gesagt zu haben – und wollte sie wiedersehen.
    »Was wolltest du mir zeigen?«
    »Ach so. Das hier. Als Entschuldigung für letzthin.« Sui reichte mir das vergilbte Papierbündel, das auf dem Tisch gelegen hatte.
    »Was ist das?« fragte ich.
    »Die neunundneunzigste Erzählung«, sagte sie.
    Ich war überrascht. »Ist sie echt?« fragte ich. »Wissen die anderen, daß sie existiert?«
    Sui schwieg.
    »Otohiko?«
    Sie nickte.
    »Saki? Shōji?«
    »Keine Ahnung. Nicht von mir jedenfalls. Shōji wußte, glaube ich, nichts davon«, sagte Sui. Sie wirkte ein bißchen traurig. Noch wußte ich nicht warum.
    »Darf ich sie lesen?« fragte ich. Sie nickte, und ich begann.
    Es war ein handschriftliches Manuskript in englischer Sprache. Ich weiß noch, daß Sui die ganze Zeit, während ich las, aus dem Fenster sah. Obwohl ich es nur aus den Augenwinkeln aufgenommen haben kann, hat dieses Bild, ihr Profil, den stärksten Eindruck von Sui in meinem Gedächtnis hinterlassen. Seltsamerweise.
    Ich begriff sofort, warum die neunundneunzigste Erzählung nicht veröffentlicht worden war. Wahrscheinlich aufgrund des Seelenzustandes des Verfassers war sie unvollendet geblieben und hatte eher den Charakter einer Skizze, eines Entwurfs. Zerrissene Sätze, die schmerzten.
    Die geschiedene Frau des Erzählers und seine Kinder zu Hause – dieses Bild wurde ständig wiederholt. Im Traum besucht er sie. Er sieht nach, wie es seiner Familie geht, von draußen durch den Türspalt, oder auch von der Zimmerdecke aus. Er guckt durch die Ritzen der papiernen Schiebetüren. Ansprechen kann er niemanden. Nur die Kinder bemerken instinktiv, daß er da ist. Alles bloß Einbildung, sagt ihre Mutter. Er drückt seine Nase an die Fensterscheibe und kann sich nicht losreißen.
    Derartige Szenen, wieder und wieder.
    »Das ist zu traurig«, sagte ich. Hinter den Kulissen, kurz vor Auftritt des Todes. Otohiko und Saki mit unschuldigem Antlitz, genau wie ich sie auf der Party damals gesehen hatte.
    »Ich fühl mich irgendwie total miserabel dabei«, sagte Sui. Ihre Perspektive war eine völlig andere als meine. Das sah ich ihren Augen an.
    »Wirklich? Weshalb?« sagte ich.
    »Die beiden werden als Kinder geliebt, ich nur als Frau. Noch dazu als eine, die man mal eben mitnimmt, nebenbei. Neidisch bin ich. Wenn ich das lese, könnte ich jedesmal platzen vor Neid!« sagte Sui.
    »Liebe ist Liebe, da gibts keine erste und zweite Klasse!« meinte ich. »Ich mag die achtundneunzigste Erzählung. Die Liebe zu seiner Tochter und die zu der Frau in ihr werden eins, und man meint, sein Gefühl für sie wird immer größer, grenzenlos, wie das Universum. Erlösend ist das. Du bist zu beneiden! Ich finde, diese Geschichte ist die beste von allen!«
    »Wirklich?« sagte sie und strahlte übers ganze Gesicht. Doch ich hatte den Eindruck, daß sie ihr Herz vor mir verschlossen hielt. »Aber wie auch immer, der Mann ist schließlich tot. Und damit ist alles zu Ende, auch was er geschrieben hat. Es kann sich nicht mehr bis in alle Ewigkeit vermehren.«
    »Nur so ein Gedanke, aber vielleicht solltest du Saki einfach eine Kopie davon geben. War das nicht befreiend, was meinst

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