N. P.
Kaffeekränzchen ab. Auch wieder ein seltsames Gefühl. Wahrscheinlich, weil ich zum ersten Mal mit beiden gleichzeitig zusammen war.
»Sui hat mich übrigens letzthin geschlagen!« sagte ich.
»An einem Regentag, wie der Blitz. Hat sie davon erzählt?«
»Du hast sie getroffen?« fragte er erschrocken.
»Ja.«
»So ist das also …« sagte er in diesem Dann-wird-mirmanches-klar-Tonfall. »Und? Warum hat sie dich geschlagen?«
»Ein Mißverständnis, nehm ich an.«
»Ich verstehe, sie zieht ihre Mißverständnisse immer todernst durch …«
»Weißt du wirklich nichts davon, daß wir uns getroffen haben?«
»Nee, hör ich jetzt zum ersten Mal.«
»So was.«
Saki hatte bis dahin wortlos ihren Kaffee getrunken. Jetzt sagte sie: »Darf ich dich mal was Indiskretes fragen?«
»Nur zu«, sagte Otohiko.
»Wie ist das, mit der eigenen Schwester zu schlafen?« fragte sie mit todernstem Gesicht. Ich mußte lachen.
Otohiko lächelte gequält und sagte: »Schock! – Du bist wirklich indiskret.«
»Ich hab ja sonst kaum eine Chance, dich so was zu fragen, du läßt dich ja nie sehen!«
»Ehrlich gesagt, ich hab noch nicht so genau darüber nachgedacht«, begann er. »Aber ein bißchen schlechtes Gewissen ist immer dabei, und, na ja, das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.«
»Ach, so warst du schon immer. Ohne triftigen Grund bringst du doch nicht mal nen Kuß fertig!« sagte Saki.
»Ja, leider!« zog ich ihn auf.
»Geschlechtsverkehr ohne Grund, gibt es das überhaupt?« sagte Otohiko.
»Du mußtest anscheinend dein ganzes Leben lang unter dem Spott deiner Schwester leiden«, sagte ich, und er nickte: »Und wie!«
»Ich treibs ja nicht so weit, daß ich ihn verletze. Es macht einfach Spaß, ihn aufzuziehen, hat es schon immer gemacht«, sagte Saki.
Für mich war das wieder irgendwie seltsam, wie diese beiden, die mir damals auf der Party so elegant, so weit weg schienen, jetzt genau wie damals miteinander flachsten, direkt vor meiner Nase.
»Ich habs auch schon vergeben und vergessen. – Aber, um noch mal auf die Sache von eben zurückzukommen. Wir sind ja schon Jahre zusammen, und da machen wirs nicht mehr so oft. Wie Brüderchen und Schwesterchen halt, unsere Beziehung.«
»Was du nicht sagst!« sagte Saki, und wir brachen in schallendes Gelächter aus.
Etwas später gab ich Saki die Kopie. Sie nahm sie entgegen:
»Wirklich für mich?«
»Zeig mal her«, sagte Otohiko, griff nach den Blättern und las. »Alle Achtung, eine gute Übersetzung«, sagte er nach einer Weile. »Wirklich, Saki. Wenn du’s machst, mußt du dich anstrengen!«
Sie nickte. Ich war irgendwie aufgeregt. Als hätte Shōji einen Preis bekommen.
Es dämmerte. Otohiko sah plötzlich aus dem Fenster, als wolle er die Tageszeit ablesen. »Ich muß weg«, sagte er und stand auf.
Sobald es dunkel wird, zieht es ihn zu ihr, vermutete ich. Das Matte, Düstere an ihr harmonierte vollkommen mit dem opalfarbenen Himmel der Stadt, in der es nie ganz Nacht wurde. ›Ich muß sie ausfindig machen, bevor sie ganz verschwindet‹, konnte man in seinem Profil lesen. Der Kontrast von Anhänglichkeit und Ablehnung.
»Na denn, viele Grüße!« Wir gingen beide noch mit zur Tür. Denen ist nicht zu helfen, meinte Saki. Dann verließen auch wir die Wohnung, um essen zu gehen.
N a, wie gehts ’n so in letzter Zeit?«
Besoffen! Auch am Telefon kann ich das sofort erkennen. Wenn er nicht besoffen ist, bringt er es sowieso nicht fertig anzurufen – mich, seine eigene Tochter!
»Gut. Und dir?« sagte ich.
Ein plötzlicher Anruf am Samstagabend. Eine Familie hatte Vater momentan nicht. Die Frau, mit der er damals durchgebrannt war, war inzwischen wieder mit einem anderen Mann abgehauen. So Leute gibts. Ohne jede Angst, einen Fehler zu machen, wagen sie immer und immer wieder einen neuen Anfang. Aber warum nur sehen gerade solche Leute nie fröhlich aus? Wo sie doch soo tapfer sind! Reue ist ihnen ins Gesicht gegraben, als müßten sie ihr Leben in den Elendsvierteln der Stadt fristen. Mein Vater gehört diesem Menschenschlag an. Die Frau auch. Mir liegt der Typ nicht. Selbst jetzt, als Erwachsene, bringe ich mit ihnen nicht mal höflich-lächelnden Small talk zustande.
»Och, mir gehts gut.«
»So? Bist du nicht einsam?«
»Hab mich dran gewöhnt. Mein Sohn wohnt außerdem ganz in der Nähe.«
»Mein Halbbruder …«, sagte ich. »Unsere familiären Verhältnisse sind auch ganz schön kompliziert!«
»Auch?«
»Ach, nur
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