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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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Nummer 202.
    »Kazami?« rief Saki und machte auf. »Hast du’s gleich gefunden?«
    »Na ja, ein bißchen suchen mußte ich schon«, sagte ich.
    »Otohiko ist grad nicht da«, sagte Saki. Ich nickte und trat ein. Meine Erwartungen wurden größtenteils bestätigt. Kein Firlefanz, sondern das Zimmer eines liebenswerten Erwachsenen: dunkler Teppichboden. Mit westlichen Büchern vollgestopfte Regale. Aber entgegen meinen Vermutungen hatte die Wohnung einen Touch von Meer. Ja, irgendwie. Ein alter Schaukelstuhl, ein Ledersofa, ein in der Küche abgestellter Eisenofen, eine Batterie von Flaschen mit diversen Alkoholika hinter Glas. Irgendwie Schiffskabinengeschmack.
    »Liebst du das Meer?« fragte ich sie.
    »Otohiko. Er wollte mal an eine Hochschule für Nautik oder so was.«
    »Wieso hat er den Plan aufgegeben?« fragte ich, während ich mir sein Zimmer ansah. Gummistiefel zum Segeln, ein Fotoband mit Segelschiffen, und als Krönung hing ein Steuerrad an der Wand. Eine ganz neue Seite an ihm.
    »Na, wegen der Frau – völlig durchgedreht!« lachte Saki.
    »Einfach, aber einleuchtend, diese Erklärung«, sagte ich.
    Saki goß Ginger-ale in Gläser und reichte mir eins. »Mit Gin.«
    »An der Uni trinken wir nie.«
    »Wir wissen schließlich, was sich gehört!« sagte Saki. Wir saßen auf dem Boden und tranken. Es schmeckte süß und ungewohnt lecker.
    »Das war vielleicht heiß eben«, sagte ich. Ich hatte das Gefühl, daß die Wirkung des Alkohols genau an den trocknenden Schweißporen ansetzte. »Eine schöne Wohnung hast du!«
    »Danke. Aber du mußt auch mal zu uns nach Yokohama kommen. Das Haus ist ganz in japanischem Stil, mit vielen Zimmern. Als wir nach Japan kamen, sind wir direkt dort eingezogen, und unsere Möbel, die ganze Einrichtung hat überhaupt nicht dazu gepaßt. Wir haben vielleicht gelacht!«
    »Das kann ich mir vorstellen! Aber ich komm euch gerne demnächst mal besuchen.« Wie mag es wohl sein, in einem Land zu leben, in dem man nicht geboren und aufgewachsen ist, wie fühlt man sich da? Seit meine Schwester geheiratet hatte und nach England gezogen war, mußte ich oft darüber nachdenken. Wird man eins mit dem fremden Land, als fiktiver Held sozusagen, oder denkt man im Grunde seines Herzens immer daran, irgendwann heimzukehren?
    In dem Moment ging die Tür auf und Otohiko kam herein. Ich mochte dieses – wie soll ich sagen – diese Ausstrahlung, diesen interessanten Hauch von Verzweiflung, durchaus jedoch mit Selbstvertrauen, der seine ganze Erscheinung umgab, seltsam durchdringend und einzigartig. Sein Gesicht fand ich einfach schön. Ein Mann, der auf seinen Schultern eine Geschichte mit sich herumtrug.
    »Hallo, allerseits!«
    »Hallo!«
    Er schien mir gegenüber noch ein bißchen verlegen zu sein wegen des nächtlichen Überfalls.
    Ein seltsames Gefühl. N. P. war schließlich Fiktion. Und Fiktion kann man wieder vertreiben, egal wieviel man davon in seinen Kopf gelassen hat, es sei denn, man hat ernsthafte Defekte. Aber Sui zum Beispiel, sie war leibhaftig da, sie redete, sie fuhr sich durchs Haar, ihr großer Mund lachte, sie kleckerte mit dem Essen, und aus ihrer Nase tropfte echtes, warmes Blut. Sie reagierte auf das, was ich sagte, und zwar in Echtzeit. Die Wirklichkeit war dehnbar geworden wie Kaugummi. Alles schien verzerrt, mein Realitätssinn war verlorengegangen. Die ganze Zeit schon, seit ich ihr begegnet war. Sie war N.P. Deshalb, ob ich jetzt in Sui verliebt war oder in Saki, oder in die ganze Situation an sich – ich wußte es nicht. Möglicherweise hatte ich gar Gefallen an Otohiko gefunden. Das wäre allerdings schlecht. In einer kleinen Gruppe eine Atmosphäre dieser Art zu schaffen war gefährlich. Man hat so seine Phantasien. Aber ich hatte ihn die ganze Zeit wiedersehen wollen. Ich wollte ihn wieder erzählen hören, in seiner merkwürdig ernsthaften Art.
    Ein seltsames Gefühl.
    Man verliebt sich, man trennt sich, oder der Tod scheidet einen, und dann, mit den Jahren, kommt einem allmählich alles gleich vor, was um einen herum passiert. Gut oder Böse – man kann einfach keinen Unterschied mehr erkennen. Man fürchtet höchstens die schlechten Erinnerungen, die sich anhäufen. Ach, wenn doch bloß die Zeit stehenbliebe, wenn doch nur der Sommer nie zu Ende ginge … mir wird alles zuviel!
    Saki brachte Kuchen. »Willst du auch ein Stück, Otohiko?« Er schüttelte den Kopf: »Nur Kaffee, bitte.«
    Da saßen wir nun zu dritt auf dem Boden und hielten ein

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