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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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so.«
    »So was wie bei uns passiert doch ganz oft. Die ideale Familie ohne Probleme gibt es nicht. Oder nur ganz selten. Es gibt so viele verschiedene Menschen, weißt du das eigentlich?«
    »Hatte ich mir eingebildet, ja.«
    »Wenn dir das nicht paßt, Versuchs doch erst mal selbst mit der Ehe – ohne Scheidung!« sagte Vater.
    Manchmal muß ich über äußerlich nicht erkennbare Behinderungen nachdenken: Geisteskrankheiten liegen bei uns in der Familie. Ich bin der Sproß eines Vaters, der sich ständig scheiden läßt. – Über solche und andere Abweichungen.
    »Trau ich mir nicht zu.«
    Wenn man sich einfach darauf beschränkt zu leben, geht ein Menschenleben doch auch vorüber. Was müßte bloß wie sein, damit Vater zufrieden sein könnte?
    »Trinkst du viel? Jeden Tag?«
    »Jaja, das Saufen. Ein Kostverächter bist du aber auch nicht gerade!«
    »Alles geerbt.«
    »So wirds sein.«
    »Du …«
    … hältst doch garantiert das, was du dir im besoffenen Kopf zurechtschusterst, für das wirkliche Leben! – wollte ich ihm an den Kopf werfen, schon immer, seit ich klein war. Ich ließ es aber auch jetzt.
    »Wie stehts mit der Arbeit, alles in Ordnung?«
    »Da gabs bei mir doch nie Schwierigkeiten!«
    »Stimmt, ja …«
    Hast du schon mal daran gedacht, mit deiner Tochter schlafen zu wollen? – Diese Frage zu stellen wäre allerdings noch schwieriger gewesen. Also ließ ich auch das.
    »Na denn …«
    »Ja … Schlaf gut.«
    Vor lauter Anspannung war ich so erschöpft, als hätte ich Stunden mit ihm geredet, als hätten wir Tausende von vollkommen unwichtigen Dingen besprochen.
    Ich erinnerte mich zwar durchaus an Zeiten, in denen ich ganz normal mit Vater reden konnte. Als er noch zu Hause war. Aber obwohl es beinahe mit Händen greifbar schien – wiederholen konnte ich es nicht. Wie wenn man nach langer Zeit wieder einmal auf Skiern oder Schlittschuhen steht – und der Körper nicht mitmacht. Das ist der Lauf der Zeit, dachte ich. Im Innern fühlte ich immer noch dasselbe wie damals als kleines Kind, aber wenn ich ihn träfe, stünde eine erwachsene Frau, eine jüngere Ausgabe von Mutter vor ihm. Das konnte nicht gutgehen!
    Den Grund dafür, daß Sarao Takase einfach nur noch sterben wollte, meinte ich an Vaters Tonfall vorhin ein ganz kleines bißchen begriffen zu haben. Er hatte wohl tatsächlich geglaubt, Leidenschaft sei die immerwährende Blüte des Lebens. Wie Vater auch. Und daß sich daran nie etwas ändern würde.

 
     
     
    W illst du nicht bei mir vorbeikommen?«
    Ich dachte, es sei Saki, aber bei genauerem Hinhören erkannte ich Suis Stimme. Kein Wunder, sind ja auch Schwestern.
    »Ich muß noch arbeiten«, sagte ich. Ich war allein im Seminar und dabei, Material zu ordnen, und ich war zweifellos sehr beschäftigt. So ein verlassenes Unigebäude, in dem man sich ganz alleine aufhält, ähnelt sogar bei hellichtem Tag einem nächtlichen Schwimmbad. In den diffus beleuchteten Fluren roch es nur anstatt nach viel zuviel Wasser nach viel zuviel Sauerstoff.
    »Otohiko ist auch nicht da, und mir ist langweilig. Außerdem will ich dir was zeigen. Is egal, wenns spät wird, aber komm doch – bitte!«
    Ich wollte sie auch wiedersehen. Irgendwie hatte ich sie doch vermißt – mitsamt ihren unangenehmen Seiten. Mein Blick fiel durchs Fenster, nach draußen. Der Himmel glich endlosen Bahnen blau gefärbten Baumwolltuchs. Ich hatte gute Laune.
    »Okay, ich komme, sobald ich hier einen Schnitt machen kann. Was soll ich mitbringen?« sagte ich freudig erregt.
    »Du hast aber gute Laune! Die leckeren Eclairs von S., wie wärs damit?« sagte sie und erklärte mir den Weg zu ihrer Wohnung.
    Abends machte ich mich wie geheißen auf den Weg zu Sui. Irgendwie hatte ich mir eingebildet, sie wohnte in der Nähe, es war aber doch weiter, als ich gedacht hatte. Ich fuhr mit dem Bus, und das dauerte schon zwanzig Minuten.
    Sie wohnte alleine am Rande der Stadt in einem Häuschen, weiß und kastenförmig wie ein Stück Tōfu, und sie hatte mich zu sich eingeladen.
    Und wieder lief meine Phantasie auf Hochtouren, aber diesmal wurde sie enttäuscht: eine absolut nichtssagende Wohnung. Nichts, was Aufschluß gegeben hätte über die Person, die darin lebte.
    Der obligatorische Kühlschrank. Spartanisches Geschirr, das man mit Recht ›Utensilien zur Nahrungsmittelaufnahme‹ nennen konnte. Kein Teppich, keine Kissen – nackter Fußboden. Ein japanisches Zimmer ohne alles – nicht mal ein Tisch. Selbst der einzige Stuhl

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