Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Webdesignbüros, die aussehen wie Damenboutiquen. Eines haben alle gemeinsam: Sie wollen eigentlich ganz was anderes machen.
Jochen sieht mein miesepetriges Gesicht, geht zur Anlage und dreht die Musik auf. Nun beginnen die Ersten zu tanzen. Um kurz nach Mitternacht steht die Polizei vor der Tür. Er solle doch bitte die Musik leiser machen, bitten die Beamten. Aber Jochen macht nicht leiser. Als die Beamten zum dritten Mal anrücken, erklärt er ihnen, dass wir hier in einer freien Stadt leben und jeder machen könne, was er wolle. «Genau darum geht es doch bei dieser Party! Berlin bedeutet Freiheit, Alter!»
Zehn Minuten später kommen die Polizisten mit Verstärkung wieder und räumen die Wohnung. Alle müssen gehen, bis auf Jochen und mich, weil auf meinem Personalausweis steht, dass ich in München wohne und ich da um diese Uhrzeit wohl kaum hinlaufen kann. Als der Beamte mir den Ausweis zurückgibt, empfiehlt er trocken: «Nächstet Jahr feiernse, wo Se hinjehörn.»
SCHAU MA MOI, DANN SENG MA’S SCHO
D a es in München nun zu kalt geworden ist zum Joggen, habe ich mich im «Isar-Power-Gym» angemeldet. Ich weiß, Fitnesscenter sind etwas für Proleten, aber falls Roni mir eines Tages vergeben sollte, möchte ich ihr wenigstens einen attraktiven Körper bieten. Und mit den Gorillas dort muss ich mich ja nicht anfreunden.
Mein Fitnesscoach heißt Lutz. Er scheint einer dieser Münchner Sportstudenten zu sein, die sich zum Modeljob etwas dazuverdienen und auf dem Höhepunkt ihrer Karriere eine Nebenrolle in einer deutschen Telenovela übernehmen. Weil er doppelt so breit ist wie ich, nenne ich ihn insgeheim den doppelten Lutz. Er mustert mich von oben bis unten und fragt schließlich, ob ich überhaupt jemals Sport gemacht habe. Ich sage: «Ja.»
«Das ist aber schon länger her, oder?»
Dann fragt er mich, was ich mir denn für eine Figur wünsche. «Na ja, wenn ich es mir aussuchen kann, so in etwa wie der junge Brad Pitt», antworte ich. Er nickt mit ernstem Gesicht und notiert sich etwas auf seinem Klemmbrett.
Wir drehen eine Runde durch das Fitness-Studio, vorbei an einer gläsernen Turnhalle, in der ein Mann einigen Frauen etwas vorhampelt. «Power-Striptease», erklärt der doppelte Lutz ungerührt. Wir schreiten eine Reihe von Geräten ab. Auf jedes muss ich mich setzen und etwas Schweres drücken, schieben oder ziehen. Schon bei der dritten Maschine komme ich mächtig ins Schwitzen.
«Komm, streng dich an», motiviert mich mein Trainer. «Der Mensch ist das einzige Tier, das arbeiten muss.» Diese blöden Muskelprotze mit ihren dämlichen Sprüchen.
«Oh, wie weise», keuche ich. «Ist das von dir?»
«Nein», sagt der doppelte Lutz. «Von Kant.»
Dann lässt er mich allein mit meinen Vorurteilen und den Apparaten. Ich arbeite mich mühsam durchs Programm. Manche Maschinen sind besetzt, weil irgendwelche Typen ihre Handtücher auf die Sitzflächen gelegt haben, wie im Strandurlaub auf Mallorca. Die meisten Menschen hier sprechen hochdeutsch, zwei berlinern, einer sächselt. Dazu gibt’s noch einige Engländer. Nur das bayerische Idiom fehlt. Offensichtlich verträgt sich Fitnesstraining nicht mit Gemütlichkeit.
Nach meinem Trainingsparcours dusche ich und freue mich kurz über ein Schild im Duschraum, auf dem «Intimrasur verboten» steht. Zum krönenden Abschluss meiner Lektion setze ich mich an die Fitnesstheke, weil ich das schon immer mal machen wollte. Lutz empfiehlt mir einen Proteinshake mit Erdbeergeschmack.
«Du interessierst dich für Kant?», frage ich ihn.
«Ich habe meine Doktorarbeit über seine Antwort auf die Frage Was soll ich tun? geschrieben. Aber dann habe ich keinen Job gefunden und bin hier gelandet.»
«Was soll ich tun? Diese Frage stelle ich mir in letzter Zeit auch immer öfter. Was sagt denn Kant dazu?»
«Kurz gesagt: Sei vernünftig!» Ich nicke und proste ihm mit meinem Proteinshake zu.
Einen Abend später ruft Jochen an. Er will mich unbedingt besuchen kommen. Übers Wochenende darf er den Sprinter der Firma, bei der er gerade jobbt, behalten. Ich höre mir seinen Plan an: «Den Wagen mit Fahrgästen vollladen, einmal nach München und zurück fahren, von jedem Fahrgast zwanzig Euro kassieren, dich besuchen und dabei noch Geld verdienen.»
Außerdem hat Jochen meine neue Wohnung noch nicht inspiziert, und ich sei seit dem Oktoberfestdebakel ja nur noch schlecht drauf. Eine gemeinsame Schlittenpartie soll mich auf andere Gedanken bringen. Und weil in
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