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Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Sprungschanze, und fliege meterweit durch die Luft – bis in ein signalrotes Auffangnetz.
    Dort hänge ich zwar nicht über einem klaffenden Abgrund, aber es geht schon ein paar Meter runter. Außerdem liegt da unten kein Schnee, sondern nur Geröll. Und mein Schlitten. Ich will aus dem Netz krabbeln, rutsche durch eine Masche und zappele hilflos wie ein gefangener Fisch.
    «Hallo? Alles in Ordnung da drüben?», fragt eine Stimme hinter der Schneemauer. Ein scharrendes Geräusch, das Kraxeln von Schritten. Eine Mütze schiebt sich über den Rand. Und dann ein Gesicht. Das mir bekannt vorkommt. «Es tut mir so …», Roni bricht ab. «Was machst du denn hier?»
    «Ach, ich hänge nur so rum», antworte ich schlagfertig.
    «Schön, dass du deine gute Laune wiedergefunden hast», entgegnet Roni spitz.
    In diesem Moment wuchtet Jochen seinen Szene-Körper über die Mauer. «Alter, die Piste ist voll vereist! Echt, ich …», er stockt. Seine Augen fliegen zwischen Roni und mir hin und her. «Roni, Alter! Äh, lange nicht gesehen.»
    «Hallo Jochen, hilf doch bitte deinem Freund hier. Er ist mal wieder abgestürzt», sagt sie bitter, dreht sich um und stapft davon.
    Jochen zieht mich aus dem Netz. «Du lässt dir ja ganz schön was einfallen, um die Frau zurückzubekommen», sagt er.

MA MUASS WISSEN, WANN MA GEHN MUASS
    S ilvester, habe ich beschlossen, feiere ich in Berlin. Wozu allein in München herumsitzen? Ich habe mir zwei Wochen frei genommen und buche nur einen Hinflug. Zurück komme ich schon irgendwie. Irgendwann.
    Am letzten Dezembertag borgen Jochen und ich uns ein Raclette-Set und essen mit ein paar alten Freunden. Mein bester Freund hat sein Hofbräuhaus-München-T-Shirt angezogen und wird einige Male auf den «lustigen Aufdruck» angesprochen.
    Um kurz vor Mitternacht steigen wir aufs Dach seines Mietshauses. Auf dem Flohmarkt hat Jochen für einen Spottpreis russische Übungshandgranaten gekauft. Das Feuerwerk ist schon in vollem Gang. Überall stehen Leute herum und feiern. Unten in den Straßen bewerfen sich Jugendliche mit Böllern. Auf dem Balkon gegenüber zünden zwei stämmige Glatzköpfe eine Rakete. Sie zischt knapp an uns vorbei und zerbirst am nächsten Schornstein in tausend Sterne.
    «Seid ihr irre?», ruft Jochen. «Passt mal ein bisschen auf!»
    Eine zweite Rakete ist die Antwort.
    Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, holt Jochen einen russischen Riesenböller aus der Tasche, zündet ihn an, ruft «Nastrowje!» und schleudert ihn zu den beiden Skinheads hinüber. Der Böller landet auf dem Balkon. Anstatt zu explodieren, verströmt er weißen Rauch. Die Skinheads ziehen sich hustend zurück. «Zurückgetrieben in Ruinen», kommentiert mein ostdeutscher Freund.
    Ein paar Minuten später zählt jemand von zehn herunter. Bei null wird gejubelt und noch mehr Feuerwerk abgefackelt. Ich trinke Rotkäppchensekt aus der Flasche und werde von wildfremden Leuten umarmt. All diese Umarmungen würde ich gegen eine von Roni eintauschen. Ich schicke ihr eine SMS. «Wünsche dir das Beste im neuen Jahr und mir noch eine zweite Chance.» Sie antwortet nicht.
    Silvester in Berlin ähnelt dem Drogenkrieg in Kolumbien: Drinnen wird gekokst und gefressen, draußen geschossen. Unsere nächste Station ist ein Club in Mitte. Mittlerweile kann ich mich mit kaum einem meiner alten Freunde noch normal unterhalten, weil keiner mehr klar im Kopf ist. In fast schon aggressivem Tonfall unterbricht einer den anderen, um belanglose Betrachtungen und uralte Witze abzulassen.
    Irgendwann setze ich mich auf eine alte Couch neben der Tanzfläche und schaue den Leuten nur noch zu. Im Stroboskoplicht tanzt jedes Mitglied der großen Partygemeinde für sich allein. Manchmal schreit einer seinem Nebenmann etwas ins Ohr, und der schüttelt mit verständnislosem Blick den Kopf. Sie verstehen einander nicht. Früher wollte ich weg aus dem Dorf, weil mir die Menschen dort fremd waren. Jetzt sind mir die Menschen in Berlin fremd geworden. Wohin also?
    Erst mal aufs Klo. Aber alle Kabinen scheinen belegt. Ich warte. Nach einer halben Ewigkeit öffnet sich eine Tür, und ein Pärchen kommt heraus. Das Mädchen zupft seinen kurzen Rock zurecht, der Typ zückt eine Schachtel Zigaretten und bietet ihr eine an. «Danke, Andy», sagt sie.
    «Ich heiße nicht Andy», entgegnet er. Beide lachen laut und küssen sich.
    Ehe ich reagieren kann, ist das nächste Paar in der Kabine verschwunden. Bevor die Frau die Tür zuzieht, ruft sie mir mit

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