Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
heiserer Stimme zu: «Wenn du bloß pillern musst, stell dich draußen an die Wand, wie alle.»
Auf dem Rückweg treffe ich an der Theke einen alten Bekannten wieder. Wir haben uns nicht oft gesehen, aber irgendwie wussten wir von der ersten Begegnung an, dass wir seelenverwandt sind. Vor drei Jahren war er der Erste aus meinem Freundeskreis, der Berlin verließ. Als ich ihm erzähle, dass ich nun in München wohne, gratuliert er mir.
«Ich hab immer geahnt, dass du eines Tages im Süden landen wirst», sagt er.
«Warum?»
«Weil du so viel darüber gelästert hast. Ich wollte auch nie zurück nach Hamburg, aber dass ich damals hier weggegangen bin, hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet», erzählt er. «Es gibt Leute, die sind stark genug für Berlin, aber die meisten sind es nicht. Hey, du bist endlich Redakteur. Das hast du dir doch immer gewünscht. Wenn du hiergeblieben wärst, würdest du heute in einer teuren Trainingsjacke in einem billigen Hinterhofbüro das Magazin der Hundefreunde Teltow gestalten und jedem erzählen, dass du eigentlich Journalist bist. München ist gar nicht so schlecht. Ziemlich unterschätzte Stadt. Gutes Essen.»
«München ist ein Dorf!»
«Ach, die Stadt ist klein genug, dass man nicht untergeht, und groß genug, dass man sich nicht ständig über den Weg läuft. Und denk mal an die Frauen da.»
In wenigen Worten umreiße ich meine Geschichte mit Roni. «Du bist vielleicht blöd», meint er, «guckst du keine Hollywoodfilme? Du solltest sofort nach München fliegen und sie dir zurückholen!»
«Aber was ist mit Berlin?»
In diesem Moment kommt Jochen mit Schwimmbewegungen durch das Stroboskoplicht auf mich zu. «Ich glaube, mir hat endlich mal jemand was in den Drink getan», lallt er und starrt auf mein rechtes Ohrläppchen. Dann reißt er den Kopf zur Seite und fixiert die tanzenden Schatten an der Wand. Plötzlich klatscht er dicht neben meinem Ohr in die Hände, als wolle er eine Fliege fangen. «Elende Biester», murmelt er.
In diesem Moment fasse ich einen Entschluss.
«Jochen, ich muss so schnell wie möglich zurück nach München», sage ich. Er sieht mich mit irrlichternden Augen an, dann schiebt er den Unterkiefer vor, nickt und antwortet im Tonfall eines gealterten Actionhelden: «Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.» Er rülpst. «Ich fahr dich hin.»
«Nein», sage ich schnell. «Ich habe diese Sache angefangen, ich werde diese Sache zu Ende bringen. Es ist meine Sache.»
«Der Junge hat recht», mischt sich mein alter Bekannter ein.
Wir umarmen uns mit ernsten Mienen und klopfen einander dabei auf den Rücken, wie es echte Männer eben so tun.
Dann verlasse ich den Club, hole meine Sachen aus Jochens Wohnung und hinterlege ihm eine Notiz. Als es hell wird, erwische ich endlich ein Taxi zum Flughafen. An diesem Neujahrsmorgen sieht Berlin aus wie nach einem Krieg.
DU MUASST BLOSS LOCKA LASSN
I n München regnet es. Niemand holt mich vom Flughafen ab. In meinem Briefkasten finde ich eine Rechnung des tierärztlichen Notdienstes über fünfhundert Euro für den Rettungseinsatz, inklusive Nachtzuschlag, Transportkosten und Beerdigung (in dem Schreiben steht «Entsorgung») des armen Ludwig. Da ist noch ein zweiter Brief, ohne Absender. In geschwungenen Lettern hat jemand meinen Namen auf das Kuvert gemalt. Ich reiße es auf:
Knoll und seine zukünftige Ehefrau Regina laden herzlich zur Hochzeitsfeier am 11. März ab 12 : 00 Uhr in den Trachtlerhof Dumbling.
Die Vermählung erfolgt freiwillig.
Mein Herz schlägt, als wolle es aus der Brust springen. Ich sprinte die Stufen zu meiner Wohnung hinauf und schleudere das Gepäck in die Ecke. Sie geben mir noch eine Chance! Jetzt kann ich alles wiedergutmachen. Die Frage ist bloß: wie?
Ich sollte auf Nummer sicher gehen und mich mit etwas ganz Besonderem bei ihnen entschuldigen – vielleicht mit einem teuren Geschenk? Nein, es sollte etwas sein, das Knoll zu Tränen rührt, etwas sehr Persönliches. Roni wird auch da sein. Soll ich vor allen Anwesenden ein Theaterstück aufführen? Singen? Oder eine Rede halten?
In meiner Familie wird die alte Tradition der Hochzeitsreime gepflegt. Hier in Bayern kennt man das «Gstanzl», den gesungenen Neckvers. Ursprünglich wurden damit Lokalpolitiker und Schwiegermütter verhöhnt. Etwa so: «Ja, und mei Schwiegamuada is a Schindaluada.» Auf Knolls Hochzeit könnte ich eine Mischung aus gereimter Ansprache und Gstanzl vortragen und vor versammelter
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