Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Tür schließen, da tritt Roni hinter ihm in den Flur. Sie ist sehr blass. Der Kerl macht keine Anstalten, mich zu ihr durchzulassen. Sie legt ihm eine Hand auf die Schulter.
«Darf ich bitte hereinkommen?», frage ich.
«Hau ab», sagt sie leise. Sie dreht sich um und verschwindet in der Wohnung. Der Typ in der Unterhose verschränkt die Arme.
«Du hast sie gehört. Verzieh dich!»
Ich habe nur diese eine Chance. Ansatzlos versuche ich, an ihm vorbei in die Wohnung zu springen. Ebenso ansatzlos rammt mich der Typ in den Boden. Ich sacke auf der Fußmatte zusammen, er knallt die Tür zu. Das Leben ist halt kein Film.
Vor der Haustür haben Kinder ein Hüpfkästchen aufs Pflaster gemalt und springen darauf herum. Ich leihe mir ein Stück Kreide und schreibe in großen Lettern auf den Gehweg «Roni, es tut mir leid.»
An der nächsten Häuserecke kommt mir ein Besenwagen der Münchener Straßenreinigung entgegen.
DA WIND IN PREISSN WEHT SO RAU
I m Internet habe ich unter den Kategorien: München, egal wo und günstig nach einer Wohnung gesucht und tatsächlich zwei Zimmer mit Dielen in einem sanierten Altbau gefunden – für 350 Euro! Die Wohnung liegt nicht weit von der Isar entfernt. Hier wimmelt es nur so von Einzelkindmüttern und lässigen Vätern – ein wenig wie im Berliner Prenzl’berg. Der Vermieter, ein Bär von einem Bayern, erzählte, ich sei der erste Interessent, der ihm glauben würde, dass an einer derart günstigen Wohnung inmitten von München nichts faul sei.
«Warum ist sie denn so günstig?», frage ich.
«I denk, man soid oiwei anständig sein. Aa ois Vermieter», sagt er und zuckt ratlos mit den Schultern, wie es gute Menschen eben so machen. Schon wieder steigen mir Tränen in die Augen.
Am nächsten Tag ziehe ich mit Sack und Pack im Großraumtaxi von Daglfing nach Giesing. Untermair und Knoll hinterlasse ich je einen Brief, in dem ich mich für mein Benehmen entschuldige und ihnen meine neue Adresse mitteile.
In den nächsten Wochen stürze ich mich in die Arbeit, komme als Erster und gehe als Letzter. Ich habe mir das Rauchen wieder abgewöhnt, ebenso die sozialen Kontakte. Obwohl es Herbst wird, jogge ich jeden Tag an der Isar entlang. Ich führe nun das Leben, das ich vor einem halben Jahr geplant hatte: Die Wochenenden verbringe ich immer häufiger bei Jochen, in Berlin.
Jochen hat mir eine alte Matratze organisiert, dafür beteilige ich mich finanziell an den Kohlen für seinen Ofen. Dessen Wärme ist wunderbar, viel angenehmer als die trockene Luft einer Zentralheizung. Aber bis der Ofen läuft, dauert es zwei Stunden. So schön der Sommer in Berlin auch ist, wenn es Winter wird, zeigt die Stadt ihren Bewohnern die kalte Schulter.
An meinem Geburtstag, Mitte November, veranstaltet Jochen für mich eine Party und lädt unsere alten Bekannten ein. Viele sind gekleidet, als kämen sie geradewegs aus dem Ostblock – in engen Röhrenjeans, gräßlich gemusterten Pullovern und miserablen Kombinationen aus Designer-und Second-Hand-Klamotten. Ich trage zur Feier des Tages ein Jackett. Das ist das Einzige, was vielen meiner Berliner Freunde auffällt. Unsere Gespräche laufen so:
«Hey, dich habe ich ja ewig nicht gesehen!»
«Ich bin im Frühjahr weggezogen.»
«Wohin denn? Nach London? New York?»
«Nein, nach München.»
«Nee, sag mal im Ernst, wo wohnst du denn jetzt?»
«In München.»
«Wirklich?»
«Ja.»
«Du Ärmster. Ist schlimm da, oder?»
«Eigentlich nicht.»
An diesem Punkt schauen mich meine Gesprächspartner völlig entgeistert an. Kurz darauf entschuldigen sie sich, um auf Toilette oder in die Küche zu gehen, und kommen nicht wieder. Von nun an tuscheln sie nur noch mit den anderen Osteuropäern.
Jochen setzt sich zu mir. «Mein Alter, wie fühlt es sich an, wieder im Kreise seiner Liebsten zu sein?»
«Sind das meine Liebsten?»
«Du bist ja schon wieder so existenzialistisch drauf!»
«Das wird sich schon legen.»
Aber es legt sich nicht. Anstatt mit mir MEINEN Geburtstag zu feiern, unterhalten sich die meisten darüber, auf welche Party sie im Anschluss gehen sollen.
Längere Gespräche kommen sowieso nicht zustande. Es scheint verpönt, über Gegenwart und Zukunft zu sprechen. Ich mache es gerade deshalb. Die meisten haben inzwischen endgültig ihr Studium abgebrochen. Sie schreiben für Kundenmagazine oder PR-Agenturen – zwar für wenig Geld, aber trotzdem auf Apple-Notebooks und in Cafés. Nebenbei absolvieren sie Praktika in
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