Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
Vom Netzwerk:
Berlin kein Schnee liegt, muss Jochen dazu «notgedrungen» nach München kommen. Dieser hochstringenten Argumentation kann ich nichts entgegensetzen. Außerdem könnte ich tatsächlich etwas Auflockerung gebrauchen.
    Der doppelte Lutz hat mir den Potzlberg empfohlen. Dort soll es eine über fünf Kilometer lange Rodelbahn geben. Um die fünfhundert Meter Höhenunterschied zu überwinden, müssen wir einen Doppelsessellift besteigen. Mit Seilbahnen habe ich ja unlängst schlechte Erfahrungen gemacht, aber in einem Sessellift saß ich schon seit meinem letzten Skiurlaub vor zwanzig Jahren nicht mehr. Für Jochen ist es sogar eine Jungfernfahrt. Wir mieten jeder einen roten Plastikschlitten und reihen uns in die Schlange der Wartenden ein. Jochen zappelt unruhig von einem Bein aufs andere.
    «Was ist denn los?», frage ich.
    «Kalt», haucht Jochen.
    Ich schaue an ihm herunter. Er trägt eine kunstvoll durchlöcherte Jeans, englische Halbschuhe mit Ledersohle, eine Fliegerjacke und seine neue Ray-Ban-Sonnenbrille, die er seit unserem Weißwurstfrühstück nicht wieder abgesetzt hat. Entweder er hat noch nie Schnee gesehen, ist total kälteresistent, oder Kants Anweisungen zur Vernunft sind ihm völlig egal.
    Schließlich sind wir an der Reihe. Zwei Angestellte positionieren uns hinter einer Startlinie. Der Sessellift kommt, gabelt uns von hinten auf, die Angestellten klappen routiniert den Bügel herunter und hängen unsere Schlitten rechts und links von uns an einen Haken. Wir schweben über Tannenwipfel, unter uns flitzen Menschen auf roten Plastikschlitten entlang, jauchzen, rufen und lachen, dass einem das Herz aufgeht.
    Jochen klemmt die Sonnenbrille an den Liftbügel, zückt seine Digitalkamera und schießt Fotos. «HALLO! BITTE LÄCHELN!», ruft er von oben. Ein paar Kinder, die auf ihrem Vater sitzen, winken so heftig, dass ihr Gefährt aus der Bahn gerät und ächzend im Unterholz verschwindet.
    Nur noch hundert Meter bis zur Bergstation. Die beiden Fahrer vor uns demonstrieren, wie man richtig aussteigt: Bügel hochklappen, einer nach links raus, der andere nach rechts. Ein Angestellter hakt die Schlitten aus und reicht sie den Liftfahrern hinterher – kinderleicht!
    Wir schweben über eine letzte Anhöhe, Jochen steckt die Kamera weg und klappt den Metallbügel hoch. Jetzt schweben wir nur noch wenige Zentimeter über dem Boden, ich springe nach rechts, Jochen nach links, kein Problem. Der Angestellte nimmt die Schlitten vom Haken und drückt sie uns in die Hand. Geschafft! Das war leicht.
    «Verdammt», ruft Jochen, «meine Brille.»
    Ich drehe mich um. Die Sonnenbrille fährt an der Liftstange baumelnd hinab ins Tal. Jochen sprintet los. Der Lift nähert sich bereits einem kleinen Schneehang, hinter dem es abwärts geht. Jochen hechtet auf die Sessellehne. «Kruzifix!», flucht einer der Angestellten und haut mit der flachen Hand auf einen roten Notschalter. Der Lift bleibt stehen. Jochen quetscht sich unter dem Bügel hindurch in den Sitz und nimmt die Sonnenbrille von der Stange. Der Sessel hängt bereits fünf Meter über dem Hang.
    «Hey, Meister!», ruft er dem Liftwärter über die Schulter zu. «Können Sie mich rückwärts fahren?» Der Angestellte schüttelt den Kopf. «Dann drehe ich mal noch ’ne Runde!», ruft Jochen und winkt. «Bin gleich wieder da.» Der Liftwärter seufzt und drückt auf den roten Knopf, woraufhin sich die Sesselbahn wieder in Bewegung setzt. Langsam verschwindet Jochen talwärts. Ich sehe gerade noch, wie er die Brille wieder absetzt und sich zum Fotografieren aus dem Lift beugt.
    Zwanzig Minuten später ist er wieder da, und es kann losgehen. Die Pisten fallen nicht so steil ab wie erwartet, doch je näher wir dem Tal kommen, umso häufiger sind sie vereist. Jochen erweist sich als echter Schlittenkönig und liefert sich Wettrennen mit einheimischen Kindern. Auch ich habe den Schlitten so weit ganz gut unter Kontrolle. Bis wir an eine spiegelglatte Stelle kommen. Plötzlich lässt sich mein Gefährt nicht mehr lenken. «Abspringen!», ruft Jochen und wirft sich seitwärts vom Schlitten. Gerade will ich seinem Beispiel folgen, da höre ich eine Frauenstimme heranrasen: «Aus der Bahn, Kartoffelschmarrn!» Gleich darauf kracht jemand mit voller Wucht von hinten in mich rein.
    Mein Schlitten stellt sich schräg, die Frau schiebt mich vor sich her und ruft «Ohweiohweiohwei». Eine Wand aus Schnee rast auf mich zu. Ehe ich michs versehe, hebe ich ab, wie von einer

Weitere Kostenlose Bücher