Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Mannschaft meine Sünden in Versform bekennen.
Erst mal flott von der Leber weg, ein paar griffige Zeilen auf Hochdeutsch zum Warmwerden:
Es war auf dem Oktoberfest
Für mich ein echter Eignungstest
Ich sag’s euch aufs Geratewohl,
Ein Preiß verträgt kein’ Alkohol
Und jetzt auf Bayerisch übersetzen:
«Es woa», nein, «’s war af dem», oder heißt es «aufm»? Also: «’s war aufm Oktobafest.» Quatsch, nicht Oktoberfest. «’s war auf der Wiese», nein, «auf da Wiesn». «’s war auf da Wiesn – für mich ein echter Eignungstest.»
Na Servus. Ein bayerisches Gstanzl zu dichten, übersteigt augenscheinlich meine Möglichkeiten.
Einen Tag später, im Fitness-Studio, bitte ich den doppelten Lutz um Rat. «Der Gedanke, etwas aufzuführen», meint er, «ist im Prinzip richtig. Aber, auch wenn er verpönt ist, erinnere dich an Kants kategorischen Imperativ: Führe nur auf anderen Hochzeiten auf, was auch auf deiner Hochzeit aufgeführt werden könnte.»
«Sagt Kant?»
«Sinngemäß. Es geht um die Botschaft! Welche Brauchtumssportarten beherrschst du?»
«Ich kann etwas Ochsenreiten und ein wenig rankeln.»
«Was ist mit Fingerhakeln, Schuhplattler oder Goaßlschnoizen?»
«Was ist Goaßlschnoizen?»
«Die Goaßl ist die Peitsche. Beim Goaßlschnoizen wird zu bayerischer Musik mit der Peitsche geschnalzt, also geknallt.»
«Und wo kann ich das lernen?»
«Du bist Journalist. Finde es heraus.»
Nach kurzer Recherche stoße ich auf die Urbacher Goaßlschnoizer, wahre Meister ihrer Disziplin. Ich rufe an und werde von einem gewissen Wolfi sofort zu einer Probestunde eingeladen, am Mittwoch in der Aula der Grundschule von Urbach.
Wolfi, der Chef der Goaßlschnoizer, begrüßt mich mit dem kräftigen Handschlag eines Landwirtes. Er sieht aus, als habe er nie etwas anderes als gute Luft geatmet. In der von Holzbalken durchzogenen Aula haben sich außer Wolfi noch vier andere Goaßlschnoizer versammelt. Ich schüttele jedem die Pranke.
Während sich Wolfis Kollegen um ein Laptop scharen, um den Auftritt einer konkurrierenden Goaßlschnoizer-Formation auf DVD anzuschauen, erklärt mir der Chef das Wesentliche: «Wennst mit da Goaßl schnoizt, na krachts.»
Ich lerne: Früher, als die Kutschen noch keine Hupen hatten, mussten die Kutscher mit einer individuellen Peitschenknallfolge auf sich aufmerksam machen. Damals stellte man die Goaßl aus Weidenholz her, heute benützt man modernes Fiberglas. Am Stock hängt ein rauer Strick mit einer aufgefaserten, quastenähnlichen Spitze, dem sogenannten Schmiss. Wenn man die Peitsche richtig schwingt, durchbricht der Schmiss mit einem Knall die Schallmauer. «Des is die boarische Boeing», meint Wolfi.
Heutzutage wird das Goaßlschnoizen eher als Gaudi auf Hochzeiten, Geburtstagen und im Bierzelt betrieben. «Da spuit a Ziach was Boarischs, und dazu wird gschnoizt», schließt Wolfi seine Ausführungen.
Auf das Stichwort «Ziach» hin beginnt einer der anderen vier auf seiner Ziehharmonika eine volkstümliche Melodie zu spielen. Wolfi stellt sich in die Mitte des Raumes, hebt die Peitsche über den Kopf und reißt sie herunter. Es knallt wie ein Schuss. Ich erschrecke über die Lautstärke, doch Wolfi bewahrt seine ernste Miene, und auch der Akkordeonspieler musiziert unerschrocken weiter. Ein zweiter aus der Gruppe gesellt sich zu ihnen. Gemeinsam setzen sie peitschenknallend Akzente auf die Ziehharmonika-Musik. Nun stimmen auch die beiden letzten ein. Alle vier halten Blickkontakt und ziehen ihre Peitschen in dreieckigen Bahnen durch die Luft, in jeder Ecke lassen sie es knallen. Ein wahres Peitschenkonzert, wie eine Wildwest-Schießerei, bloß ohne Pulverdampf und Tote.
Als die Ziehharmonika verstummt, bin ich an der Reihe. Wolfi drückt mir seine Goaßl in die Hand, stellt sich hinter mich und beschreibt mit meiner Rechten eine liegende Acht. Im unteren linken Viertel der Acht beschleunigt er die Bewegung mit einem Ruck aus dem Handgelenk, der Schmiss überholt den Strick – es knallt. «Sieghst!», sagt er, und ich nicke. Er lässt meine Hand los. Mit einer ruckartigen Bewegung hole ich aus und versuche die Peitsche knallen zu lassen. Vergeblich. Wolfi rät mir: «Denk amoi ned ans Angeln.»
Ich halte die Peitsche höher, drehe die Acht in der Luft. Nach ein paar Minuten gelingt mir tatsächlich der erste kleine Knall. Besessen fuchtele ich mit der Peitsche in der Luft herum. Plötzlich verstummt der Akkordeonspieler. Ich lasse die Goaßl sinken
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