Nach dem Bankett.
lassen – sie mit einem Ausdruck der Verachtung musterte. Kazu haßte diese Frau. Noguchi hatte dem Mädchen nämlich eines Tages befohlen, ihm ein Buch aus dem Regal zu holen, dessen Titel er ihr in deutscher Sprache nannte. Das Mädchen hatte den Titel, ohne zu stocken, wiederholt, das Regal mit den Blicken abgesucht und den gewünschten Band herausgeholt. Seitdem haßte Kazu diese Frau.
Am Neujahrstag war in dieser Gegend, die abseits von der großen Straße lag, kein Laut zu hören, außer dem regelmäßigen hellen, trockenen Ton eines Federballspiels. Kazu genierte sich immer vor dem Chaufeur, wenn sie aus dem Wagen stieg, am Tor auf die Klingel drückte und eine Ewigkeit warten mußte ehe ihr aufgemacht wurde. Der einzige Neujahrsschmuck waren die kleinen Kiefern an beiden Seiten des Tores, auf das jetzt die schrägen Strahlen der klaren Wintersonne felen.
Kazu starrte auf die verlassene Straße vor dem Tor. Die Sonne hob die Unebenheiten der Straßendecke wie ein Relief hervor. Hier und dort war die Oberfäche aufgerissen. Bäume und Telegrafenmaste warfen Schatten auf die Fahrbahn, die an einigen Stellen getaut war. In der weichen schwarzen Erde glänzte die Spur eines dicken Reifens.
Kazu lauschte dem Schlagwechsel des Federballspiels. Es klang nahe, aber sie konnte die spielenden Kinder weder sehen noch ihre lachenden Stimmen hören Das Spiel stockte. ›Ah, der Federball ist zu Boden gefallen‹, dachte Kazu. Bald darauf vernahm sie wieder den rhythmischen Klang des hin- und herspringenden Balls. Dann wieder ein Stocken . . . Während dieser quälenden Wiederholung von Schlägen und Pausen malte Kazu sich in Gedanken aus, wie der bunte Federball auf der aufgeweichten schwarzen Erde lag. Und plötzlich erschien ih das unsichtbare, immer wieder unterbrochene Spiel hinter der Mauer wie etwas Verbotenes, Heimliches, das niemand sehen durfte.
Klappernde Holzsandalen näherten sich dem Seiteneingang. Kazu richtete sich steif auf bei dem Gedanken, gleich dem verhaßten Dienstmädchen gegenüberzustehen. Aber als sich das Steintor öfnete, war es Noguchi selber, der sie begrüßte. Kazu errötete vor Überraschung.
Noguchi trug ein feierliches japanisches Gewand. »Ich habe dem Mädchen freigegeben. Ich bin heute allein.«
»Ein glückliches Neues Jahr! Wie gut Ihnen der Kimono steht!« erwiderte Kazu; aber während sie durch das Tor schlüpfte, fühlte sie einen Anfug von Eifersucht wegen seiner tadellosen Kleidung. ›Wer mag ihm beim Ankleiden geholfen haben?‹ dachte sie ärgerlich, während sie durch den Gang zum Wohnzimmer schritt; und ihre Laune verschlechterte sich.
Noguchi tat, wie immer, als merke er nichts von Kazus Verstimmung. Er grif nach der Karafe mit dem Neujahrslikör und wollte ihr eigenhändig davon einschenken. Aber es widerstrebte ihr, die Neujahrsschale mit unerfreulichen Gedanken entgegenzunehmen; deshalb begann sie, ihren Gefühlen Luft zu machen.
Noguchi entgegnete: »Dummes Zeug! Das Mädchen hat mir beim Ankleiden geholfen. Bei der Pfege europäischer Kleidung ist sie nicht sehr zuverlässig, aber wenn es sich um Kimonos handelt, ist sie in ihrem Element.«
»Wenn Sie mir auch nur ein wenig Zuneigung entgegenbringen, dann entlassen Sie dieses Mädchen bitte. Ich kann Ihnen viel aufmerksamere Dienstmädchen besorgen, so viele, wie Sie wollen. Wenn Sie dieses Mädchen nicht entlassen . . .« Kazu brach mitten im Satz ab und fng an zu weinen. »Ich kann ihretwegen kaum noch schlafen.«
Noguchi begegnete diesem Ausbruch mit Schweigen. Er zählte die jaspisfarbenen Früchte des Drachenbart-Grases, das unter dem roten Pfaumenbaum im Garten wuchs. Nachdem er Kazus Klagen eine Weile angehört hatte, grif er von neuem nach der Karafe mit dem Neujahrslikör und drängte Kazu die Lackschale geradezu auf. Sie stellte sie auf ihr tränennasses Taschentuch, warf sie aber plötzlich auf die Tatami-Matte und preßte ihr weinendes Gesicht auf seine Knie. Dabei vergaß sie aber nicht, die trockene Seite ihres Taschentuchs über den steifen Seiden-Hakama zu legen, damit der Stof nicht naß wurde. Zart glitt Noguchis Hand über die Obi-Schärpe auf ihrem Rücken. Während er sie streichelte, war sich Kazu bewußt, daß der etwas abstehende Kragen ihres Kimonos den Blick auf die schimmernd weiße, duftende strafe Haut ihres Rückens freigab. Und während er sie wie abwesend streichelte, überließ sie sich seinen Händen wie einer vertrauten Melodie. Danach
Weitere Kostenlose Bücher