Nach dem Bankett.
Obi-Brosche mit Wolkenring-Muster. Der graue Überwurf mit eingewebten schmalen Streifen war mit weinroter Seide gefüttert. Auf dieses Futter hatte sie ihre ganze Aufmerksamkeit gerichtet . . .
Der weißhaarige achtzigjährige alte Herr, der als Bahnbrecher des japanischen Journalismus galt, wurde von den anderen mit äußerster Höfichkeit behandelt. Er war Doktor der Rechte und hatte viele englische Bücher übersetzt. Er war ein alter Hagestolz von englischer Lebensart, aber auch ein Zyniker. So gab er zu erkennen, daß er mit jeder sozialen Reform einverstanden war – mit Ausnahme des Gesetzes gegen die Prostitution. Er redete sogar Noguchi mit ›Du‹ an. Der Industrielle hatte sich bereits aus dem geschäftlichen Leben zurückgezogen; e war ein Liebhaber von Haiku-Gedichten. Der Wirtschaftsexperte unterhielt die Gesellschaft mit allerlei boshaften Klatschgeschichten.
Es waren recht angenehme ältere Herren, die Kazu weder ignorierten noch ihr in aufälliger Weise den Hof machten. Die Fahrt nach Nara verlief fröhlich und heiter. Der Wirtschaftsexperte nannte die gerade maßgeblichen Leute in Wirtschaft und Politik ›Dummköpfe, Taugenichtse, Schufte, Opportunisten geistig Minderbemittelte, Verrückte, Heuchler, Kurzsichtige, größte Kamele der Weltgeschichte, verkalkte Hornochsen und Epileptiker‹. Schließlich kam das Gespräch auf Haikus.
»Ich verstehe von Haikus auch nicht mehr als ein Europäer«, bemerkte de Achtzigjährige. Und nach kurzer Pause fuhr er, wie aus einem Lexikon dozierend fort: »Terada Torahiko berichtet in seinen Plaudereien über Haikus die folgende Geschichte von einem jungen deutschen Physiker, der seinen Urlaub in Japan verbrachte und ein begeisterter Japankenner wurde: Der junge Mann erzählte seinem japanischen Freund voller Stolz, er habe ein Haiku gedichtet. Es lautete:
In Kamakura
Wohin ich auch ging und sah Kraniche ringsum.
Tatsächlich bestand sein Vers formgerecht aus fünf, sieben und fünf Silben aber deshalb ist es doch kein Haiku. Meine Haikus unterscheiden sich nicht im geringsten von den seinen. Hier ist eins, das ich eben, während ich unserem Freund zuhörte, gedichtet habe:
Unsere Bonzen
In Politik und Banken
Narren sind’s alle.«
Alle lachten. Derselbe Scherz aus dem Munde eines jungen Mannes hätte ihnen nicht einmal ein Lächeln entlockt. Während des Gesprächs über Haiku Dichtung dachte Kazu voller Unbehagen an das Muster ihres Futters. Obgleich der Zug geheizt war, wagte sie nicht, den Überwurf abzulegen, weil sie Angs hatte, jemand könne das Futter sehen. Aber bald nahm das Gespräch eine andere Wendung.
Die Herren legten übertriebenen Wert auf die Genauigkeit ihres Gedächtnisses. Das Gespräch erinnerte Kazu, die schweigend zuhörte irgendwie an Unterhaltungen junger Männer, die untereinander mit ihrem Wissen über Frauen prahlen und einander auszustechen versuchen. Um das Gesagte glaubhaft erscheinen zu lassen, holten die alten Herren oft weit aus und erwähnten bedeutungslose Einzelheiten. Wenn sie zum Beispiel etwas aus dem Jahre 1936 erzählten, so hätte sich ein junger Mann damit begnügt zu sagen: »Ich glaube, es war 1936 oder 37« – diese alten Herren begannen aber so: »Ja, so war es. Es geschah im Jahre 1937, am siebenten Juni. Ich bin sicher, daß es der siebente war. Ein Sonnabend, glaube ich. Ich kann mich erinnern, daß wir früher von der Arbeit kamen.«
Je lebhafter das Gespräch wurde, desto mehr bemühten sie sich, den hofnungslosen Kampf gegen den natürlichen Verfall aufzunehmen; und bei einem unvoreingenommenen Beobachter erweckten sie damit sogar den Anschein, vital zu sein. Aber auch in dieser Hinsicht war Noguchi eine Ausnahme. Kazu konnte nicht verstehen, was ihn an diesen Männern interessierte und weshalb er gern mit ihnen verkehrte. Nur er bewahrte seine Würde und wirkte dadurch jung. Er grif, wie immer, selten ins Gespräch ein. Wenn es ihm zu langweilig wurde, zählte er die Rippen seiner geschälten Pampelmuse und reichte Kazu schweigend die Hälfte hinüber. Doch die einzelnen Rippen der Pampelmuse waren verschieden groß, und Kazus Hälfte war, obwohl er ihr die gleiche Anzahl gegeben hatte, kleiner als die seine. Kazu mußte ein Lachen unterdrücken. Sie starrte auf die faltige, dünne Haut um das Fruchtfeisch, die die Farbe des Abendmondes hatte.
Als die Gruppe um halb sieben Uhr in Osaka ankam, wartete bereits ein Wagen auf sie. Sie fuhren direkt zum
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