Nach dem Bankett.
»Nein, hier ist es auch nicht«, murmelte er verstört vor sich hin. Es war gar nicht mehr der Noguchi, den Kazu bisher gekannt hatte.
»Was ist?« fragte Kazu. Sie bekam aber keine Antwort. Noguchi beugte sich vornüber und steckte seinen Kopf unter den Sitz. Während des Suchens fel ihm etwas ein, und er sagte mit ziemlich lauter Stimme: »Richtig, im Foyer. Ich muß es im Foyer verloren haben.«
Einige Leute aus dem Publikum drehten sich mit hochgezogenen Brauen zu ihm um und zischten mißbilligend. Da erhob sich Kazu und ging hinaus Noguchi folgte ihr. Diesmal war es Kazu, die gelassen war und ihn im Foye fragte: »Würden Sie mir bitte sagen, was Sie verloren haben?«
»Mein Dunhill-Feuerzeug. Es war ein altes Modell, das werde ich in ganz Japan nicht mehr auftreiben können.«
»War es nicht dort drüben, wo wir uns während der Pause unterhielten?«
»Ja, richtig! Dort war es.«
Noguchi rang buchstäblich nach Luft, und Kazu fühlte Mitleid mit ihm. Sie gingen zu der besagten Stelle hinüber, aber es lag nichts auf dem leuchtend roten Teppich. Vom Empfangstisch trat eine Frau in mittleren Jahren auf sie zu, die während der Auführung ofenbar nichts zu tun hatte. »Suchen die Herrschaften dies hier?« fragte sie. Der Gegenstand, den sie in der Hand hielt, war unverkennbar Noguchis Feuerzeug.
Als er es sah, strahlte sein Gesicht vor Freude auf, so daß Kazu später noch oft neckend zu ihm sagte: »Ich wünschte, Sie würden nicht nur beim Anblick eines Feuerzeuges ein solches Gesicht machen, sondern auch beim Anblick eines menschlichen Wesens.«
Doch solche Vorfälle hatten für Kazu durchaus nichts Entmutigendes. Sie war frei von Vorurteilen und sah darin nur eine kindlich arglose Anhänglichkeit an sein Eigentum.
Solche Begebenheiten erlebte Kazu noch öfter. Noguchi hatte zwar bei der Versammlung des Kagen-Kreises geäußert: »Hören wir doch auf, von vergangenen Tagen zu reden, wir sind doch noch jung« – das bezog sich jedoch nur auf Erinnerungen, während er an Gegenständen aus alten Tagen sehr zu hängen schien. Als Kazu ihn näher kennenlernte, sah sie ihn öfter einen alten Taschenkamm aus der Westentasche ziehen, mit dem er sein silbergraues Haar kämmte. Es stellte sich heraus, daß er diesen Kamin schon seit dreißig Jahren benutzte. Er hatte ihn sich anfertigen lassen, als er noch jung war, weil er so dichtes, starkes Haar hatte, daß die Zähne eines gewöhnlichen Kammes immer ausbrachen. Es war ein solider Kamm aus Buchsbaum. Noguchis Liebe zu alten Dingen hatte nichts mit Geiz oder Armut zu tun. Sie war mehr ein Protest gegen die Oberfächlichkeit der Mode, gegen die Jagd nach den neuesten Erzeugnissen, die von der amerikanischen Konsumwirtschaft auf den Markt geworfen wurden. Noguchi bestand eigensinnig darauf, nach der englischen Aufassung von Eleganz zu leben und am Althergebrachten festzuhalten. Der konfuzianische Geist der Sparsamkeit ließ sich gut mit diesem aristokratischen Geschmack vereinen. Aber Kazu hatte kein Verständnis für solchen Snobismus, um so weniger, als er Noguchis Rückständigkeit nur noch unterstrich.
Selbst mitten im Winter unterließ Kazu es nicht, ihren täglichen Morgenspaziergang zu machen. Während unter ihren Füßen der Schnee knirschte, fragte sie sich, was ihr eigentlich lieber war: der aristokratische Rang des einstigen Ministers, diese glanzvolle Karriere, oder sein Glaube an die radikalen Reformideen, die ihr, obgleich sie sie nicht verstand, etwas in die Zukunft Weisendes zu haben schienen. Diese beiden Seiten Noguchis erschienen ihr wie zwei aufeinander abgestimmte physische Merkmale, und es war ihr, als werde sie gefragt, ob sie seine spitze Nase oder seine großen Ohren lieber habe.
Ihre Liebe zueinander wuchs nur langsam. Als Kazu Noguchi zu Neujah besuchte, küßten sie sich das erste Mal. Sie trug einen blaßgrünen Seidenkimono mit einem Muster von weißem Bambusgras, silbernen Bambuskörbchen und dunkelgrünen Zwergkiefern. Der silbergraue Obi war mit einer großen Languste in Zinnoberrot und Gold bestickt. Ihren Nerzmantel hatte sie im Wagen gelassen. Sogar an diesem Neujahrstag war das Tor geschlossen gewesen, und das Haus hatte öde und verlassen gewirkt. Aber inzwischen, das wußte Kazu, wa die Klingel repariert worden.
Im Verlauf ihrer häufgen Besuche hatte Kazu bemerkt, daß das ältliche Dienstmädchen – das immer erst erschien, nachdem es Kazu lange hatte warten
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