Nach dem Bankett.
sich, wie so viele ehemalige Politiker, an seinem Lebensabend der Dichtung widmen. Er hatte bisher weder Zeit noch sonderliche Lust gehabt, sich um diese brotlose Kunst zu kümmern. Aber für Leute wie Noguchi lag der Reiz der Dichtung nicht so sehr in der Dichtung selber als vielmehr in dem stillen Verlangen danach. Dichtung war für Noguchi das Symbol für die Unerschütterlichkeit und Beständigkeit der Welt. Erst wenn keine Gefahr mehr bestand, daß die Welt sich wandelte, erst wenn man wußte, daß weder Hofnungen noch Ungewißheit, noch Ehrgeiz in einem lebten, konnte, ja mußte man sich der Dichtung zuwenden.
Dann, so glaubte Noguchi, würden alle moralischen Hemmungen und die Wafen der Logik hinweggefegt und in Dichtung umgesetzt werden – wie eine weiße Rauchsäule, die sich im herbstlichen Himmel verliert. Aber über die unwandelbare Dichtung wußte Kazu weit besser Bescheid als er; sie wußte, wie wirkungslos sie war.
Noguchi hatte sich nie klargemacht, daß er die Natur nicht liebte. Wenn er sie hätte lieben können, hätte er zweifellos auch Kazu mehr geliebt. Auf seinen Spaziergängen hier in der Gegend von Koganei hatte er Musashino-Felder aus dem alten Japan entdeckt – das hielt er für die Schönheit der Natur. Aber in den alten Kirschbäumen und den hohen Zelkowabäumen, in den Wolken und dem Abendhimmel sah er nur ein idealisiertes Selbstbildnis, das er in seinem
rechtschafenen Dilettantismus gemalt hatte.
Kazu saß noch immer mit geschlossenen Augen.
Ihr Anblick erfüllte Noguchi mit Ratlosigkeit. Er hatte das dumpfe Gefüh in einem Familienleben gefangen zu sein, dessen Unbeständigkeit bis in alle Ewigkeit fortdauern könnte. Wenn er seine Hand auf Kazus Schultern gelegt und sie gerüttelt hätte, würde sie nicht mit der Wimper gezuckt haben und erstarr sitzen geblieben sein. Vielleicht würden die Jahre und Monate hier zum Stillstand kommen – bis er starb. Vielleicht würde die ganze Welt jetzt erstarren, so verzerrt wie sie sich ihm darbot, und nicht so, wie er sie sich gewünscht hätte.
Kazu öfnete langsam die Augen.
Während sie mit geschlossenen Lidern dasaß, hatte sie Höhen und Tiefen durchschritten und war zu der einzigen für sie möglichen Antwort gelangt. Sie hatte sich in die Dunkelheit ihres Körpers versenkt, der in diesem Augenblick vielleicht zum erstenmal ganz vom Einfuß ihres Mannes durchdrungen wurde, und antwortete mit unerwarteter Logik: »Es gibt keinen anderen Weg für mich. Ich muß das Setsugoan wieder eröfnen. Das geliehene Geld werde ich zurückzahlen, selbst wenn ich mich bis auf die Knochen dafür abrackern müßte.«
In diesem Moment haßte Noguchi seine Frau. Er hatte die ganze vergangene Nacht in mühsam verhaltenem Zorn verbracht. Aber als er mit Yamazak sprach und danach mit Kazu, war seine Wut verfogen gewesen, und er hatte die Unterredung kühl und sachlich führen können. Er hatte diesen Haß nich erwartet, der so plötzlich in ihm aufbrach, als er vernahm, wie stolz Kazu ihre Wahl zwischen den beiden Alternativen traf, die er ihr aufgezwungen hatte.
Welche Antwort hatte Noguchi erhoft? Hätte er Kazu nicht gehaßt, wenn sie die andere Alternative gewählt hätte?
Auf jeden Fall war er damals, als er sie wegen ihrer eigenmächtigen Handlungen während des Wahlkampfes gezüchtigt hatte, nicht so aufgebracht gewesen wie jetzt, da sie ihm die Wafen der Logik entrissen hatte und zu seinem ofenen Gegner geworden war.
Anders als sonst, hatte sie dabei nicht eine einzige Träne vergossen. Ih Gesicht war eher heiter, und ihre üppige aufrechte Gestalt besaß das Ebenmaß einer geschnitzten Holzpuppe.
Kazu blickte Noguchi in die Augen und sah darin den Haß, der im Körpe dieses mageren, edelmütigen alten Mannes brannte. Dies war weder der tadelnde Ausdruck eines Erziehers noch der traurige Blick eines unzufriedenen, strengen Vaters. Als Kazu das erkannte, begann ihr Körper vor Freude zu zittern. Draußen, hinter den fest verschlossenen Shoji-Türen, war kein Laut zu vernehmen. Das Licht im Zimmer schien plötzlich heller zu scheinen. Noguchis schlichtes Bücherbord, sein Schreibtisch, die Schere darauf und die lackierten Möbel glänzten mehr und hoben sich deutlicher gegen den Hintergrund ab als sonst. Die neuen Tatami-Matten dufteten nach frischem Heu.
Die beiden starrten einander lange Zeit an. Es war das erste Mal, daß Kazu ofen in die Augen ihres Mannes blicken konnte. Noguchis Schultern
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