Nach dem Bankett.
nicht für logische Gedankengänge begeistern, Logik schreckte sie ab. Und weil Kazu um die Einsamkeit dieser vitalen Kraft wußte, fürchtete sie sich ständig vor der
Einsamkeit nach dem Tode.
Als Noguchi nun bedächtig fortfuhr, geschah es in der vollen Absicht, Kazu diese Angst vor dem Tode bewußt zu machen: »Hör gut zu! Dies ist das letzte was ich zu sagen habe: Wenn du gewillt bist, deinen Sinn zu ändern, das Setsugoan endgültig aufzugeben und zu verkaufen, dann bin auch ich bereit, das Untragbare zu ertragen und es noch einmal zu versuchen. Wenn du dich jetz sofort dazu entschließt, wird es vielleicht noch nicht zu spät sein. Solltest du dich jedoch weigern . . . Nun, ich denke, du weißt selber, was das bedeutet: dann muß du dich mit dem Gedanken vertraut machen, daß es zwischen uns zu Ende ist.«
Vor Kazus Augen stand das verwahrloste Grab eines Unbekannten, das von keinem Familienangehörigen besucht wurde. Die Vorstellung, daß am Ende ihres bewegten Lebens ein verlassenes Grab warte – grasüberwuchert, verfallen und schief –, erfüllte ihr Herz mit nackter Angst. Wenn Kazu nicht mehr zu Noguchis Familie gehörte, blieb ihr nur der Weg zu diesem einsamen Grab. Diese Vorstellung von ihrer Zukunft drängte sich ihr mit quälender Deutlichkeit auf.
Aber wie aus weiter Ferne erreichte sie auch ein anderer Anruf: Munteres Leben, ausgefüllte Tage, Menschen, die kamen und gingen – dieses Bild brannte sich wie Feuer in sie. Das Leben bestand nicht in Verzicht und Entsagen und komplizierten Grundsätzen! Die Welt war unaufrichtig, die Menschen waren launisch, aber dafür hielt die Welt auch unbeschwerte Freude und fröhliches Lachen bereit. So betrachtet, erschien Kazu die Welt wie ein inmitten dunkle Wiesen liegender Hügel, auf dem die Menschen um ein brennendes Feue tanzten, dessen Flammen den nächtlichen Himmel erglühen ließen.
Kazu konnte nicht anders: sie mußte die Richtung einschlagen, die ihre Lebenskraft ihr wies. Niemand, nicht einmal sie, konnte diesem inneren Befeh widerstehen – obgleich sie nun sicher war, daß ihre ungebrochene Lebenskraf sie schließlich und endgültig in das verlassene, verfallene Grab treiben würde.
Sie schloß die Augen.
Auf Noguchi wirkte die Gestalt seiner Frau, die aufrecht, mit geradem Nacken und geschlossenen Augen, vor ihm saß, unheimlich. Er glaubte, das Unergründliche in dieser Frau zur Genüge zu kennen, aber gerade dieser Glaube hinderte ihn daran, zu bemerken, daß ihre gegenwärtige Rätselhaftigkeit von ganz anderer Art war als bisher. Er bemerkte nicht, daß Kazu im Begrif war, sich in eine andere Frau zu verwandeln.
Noguchi dachte: ›Sie sinnt bestimmt darüber nach, wie sie sich am geschicktesten aus der Afäre ziehen kann. Vielleicht versucht sie es als nächstes mit Tränen. Aber was immer sie auch tun mag, ich bin völlig erschöpft von diese Frau. Möglicherweise ist das ein Zeichen des Alterns. Aber im Augenblick spüre ich nichts anderes als bleierne Müdigkeit.‹
Dennoch wurde er von quälender Unruhe und Erwartung erfaßt, wie ein Kind, das auf den Beginn des Feuerwerks wartet.
Noguchi hatte Kazu mit diesem Ultimatum so in die Enge getrieben, daß es für sie kein Entrinnen gab. Kazu war zwar durch eigenes Verschulden in die Zwangslage geraten, zwischen den beiden Alternativen wählen zu müssen, aber Noguchi hatte noch zusätzlich – nicht gerade gegen seinen Willen, sondern mehr aus Trägheit – einen engmaschigen Zaun errichtet, durch den Kazu nicht hindurchschlüpfen konnte. Um die Wahrheit zu sagen: Noguchi war es völlig gleich, wie Kazus Antwort ausfallen würde.
Noguchi fürchtete sich am meisten vor ihrer nächsten Sinneswandlung und dem Ärger, den solch ein Wechsel mit sich brächte. Ungeduldig, ja mit geradezu knabenhafter Hast wollte er die ihm noch verbleibende Zeit seines Lebens in ruhige Bahnen lenken. Er hatte genug von Reparaturen und Renovierungen, von Abänderung der Blaupausen und dem Umstoßen von Plänen, und er war nicht mehr imstande, Ungewißheiten zu ertragen. Er glich einer Frucht in einer Gelatinespeise, die noch nicht erstarrt ist: ungeduldig wartete er auf den Moment, da sich alles festigte. Er glaubte, daß er nur dann ruhig zum blauen Himmel aufblicken und nur dann die Morgendämmerung und den Sonnenuntergang und das Rauschen in den Wipfeln genießen könnte, wenn die Welt aufhörte, sich ständig zu ändern.
Noguchi wollte
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