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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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die Hand.
    Hey, Walter, sagt er zu einem Typen am Tisch. Mach doch mal ’ne Pause. Die Kleine hier möchte mitmischen.
    Die Männer lachen, und sie nimmt ihren Platz ein.
    Keine Ahnung, was es da zum Wiehern gibt. Mit Karten kann doch jeder Trottel umgehen.
    Uhh, prusten sie.
    Mit ihrem ersten schlechten Blatt verliert sie eine von ihren blauen Pillen, doch zehn Runden später reichen sie ihr ein Vakuumtütchen mit ihrem Gewinn. Drei Nembutal, fünf Vicodin, zwölf Oxycodon, sieben Dexedrine – und vier Viagra, die sie Louis als Ausgleich für seinen Vorschuss gibt.
    Wie heißt du nochmal?, fragt Louis.
    Sarah Mary.
    Also, Sarah Mary, ich bin beeindruckt. Saumäßig beeindruckt.
    Okay, wie wär’s, wenn du mich morgen bei der Patrouille mitmachen lässt?
    Wieder lacht er, herzlich und warm. Du bist wirklich eine Nummer. Aber vielleicht solltest du die Dreckarbeit lieber uns überlassen.
    So wie ich das sehe, bleibt ihr ziemlich sauber.
    Er grinst. Ich lad dich zu einem Drink ein.
    Er bringt sie zur Bar und bestellt ihr eine Cola mit Eis, und sie bleibt dort und schaut dem Spiel zu, bis dieser spindeldürre Abraham mit seinem Rattengesicht hereinkommt und sich neben sie setzt und sie wieder mit den Augen auszieht. Er hat einen massigen Kerl dabei, den er als seinen Bruder Moses vorstellt. Moses schüttelt ihr die Hand und bricht ihr mit seiner Riesenpranke fast die Finger. Zusammen sehen die beiden aus wie das Vorher und Nachher von einer Dosis Wachstumsserum. Moses hat keine Lust zum Reden. Er sitzt an der Bar und trinkt und starrt vor sich hin, als könnte sein Blick zur hässlichen Seite von allem durchdringen. Das ist kein Typ, mit dem man sich anlegen sollte, das merkt sie sofort. Solche Männer sind ihr bereits begegnet, sie sind gefährlich, weil sie Dinge durchgemacht haben, die die anderen geselligen Kerle hier noch nie erlebt haben, und Andenken mitgebracht haben, die überall an ihnen kleben: in ihren feuchten, geröteten Augen, unter ihren Fingernägeln und in der dunklen Patina auf ihrer Haut.
    Moses hockt bloß da und glotzt ins Leere, doch Abraham möchte reden und erzählt ihr von der Frau, die einer von den anderen fast erwürgt hätte, weil sie ihn gereizt und in einen Abstellraum gelockt und ihn dann nicht rangelassen hat. Beim Sprechen glitscht ihm die Zunge über die Lippen, und in seinen Mundwinkeln klebt weiß getrockneter Speichel.
    Also steht sie auf und setzt sich in der anderen Hälfte des Saals auf den Rand eines Marmorübertopfs. Sie beoachtet das Spiel und versucht, Abrahams Blick zu ignorieren, dessen bohrendes Drängen sie immer noch spürt.
    Eine Viertelstunde später beschuldigt einer der Spieler einen anderen, Pillen aus dem Einsatz eingesteckt zu haben, und es kommt zu einem Streit. Die beiden Typen prügeln über den Tisch hinweg aufeinander ein, und andere wollen sie zurückhalten. Schließlich kippt der Tisch um, ein Schauer farbiger Pillen ergießt sich über den Marmorboden, und alle tauchen nach unten, um aufzusammeln, was sie kriegen können.
    Temple hat die Nase voll und verlässt den Raum. Sie klettert viele Treppenabsätze hinauf, bis sie außer Atem ist, und landet schließlich in einer dunklen, stillen Etage, wo sie eine merkwürdige Brise spürt, die sie als echte Nachtluft erkennt: frisch und nicht nur von der Klimaanlage bewegt. Sie folgt der Brise, bis sie die Quelle findet. Ein Loch im Gebäude. Am hinteren Ende eines Großraumbüros befindet sich ein vom Boden bis zur Decke reichendes, ungefähr zweieinhalb Meter breites Fenster, das völlig herausgebrochen wurde. Vor dem Loch sind mehrere Stühle aufgestellt. Ein Observatorium.
    Niemand ist da, also tritt sie zu der Öffnung und stützt sich mit beiden Händen ab, um den Blick über die Dächer der Stadt wandern zu lassen. Sie muss fünfundzwanzig Stockwerke über der Erde sein, und ihr wird schwindlig, aber sie zwingt sich trotzdem hinauszuschauen. Dort unten in den gelben Lichtpfützen der Straßenlampen, die noch nicht kaputt oder ausgebrannt sind, tappen träge die Toten dahin, ohne Ziel und Absicht. Sie bewegen sich, die meisten zumindest, auch wenn es nichts zu jagen gibt. Ihre Beine bestehen wie die Mägen und Kiefer nur aus Instinkt. Sie hebt den Kopf, und der kühle Wind treibt ihr Tränen in die Augen, bis die Lichter der Stadt verschwimmen und sich wild miteinander mischen. Nachdem sie sich die Augen abgewischt hat, setzt sie sich auf einen Stuhl und späht hinaus über den Rand des Energienetzes, wo

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