Nach dem Ende
wie von einem nassen Ast.
Bloß dass er jetzt laut und kehlig jault, alles Blut ist ihm in den Kopf geschossen, und die Sehnen an seinem Hals sind zum Zerreißen gespannt.
Leise. Sie will ihn beruhigen. Leise, sonst hören dich noch die Leute.
Aber er kreischt weiter, also dreht sie ihn um und ohrfeigt ihn, wie man es bei Hysterikern macht. Doch wahrscheinlich ist sein Problem im Moment weniger Hysterie als der höllische Schmerz. Also schaut sie sich nach etwas um, was sie ihm in den Mund stopfen kann, und findet den BH, den ihr Ruby gegeben hat. Das Ding ist gepolstert und hat Masse, und sie rammt es ihm zwischen die Zähne.
Ruhe jetzt, mahnt sie. Komm schon, gib endlich Ruhe.
Sie drückt ihm die linke Hand auf den Mund, um den BH festzuhalten, und das Blut aus ihrem Finger strömt ihm über Wange, Auge und Ohr. Sie kniet sich auf seine Brust, damit er nicht mehr schreit, und hält ihm den Mund zu, aber so, dass die Nase frei bleibt – bloß dass irgendwas nicht stimmt, denn nach einer Minute läuft er violett an und zuckt, und dann bewegt er sich gar nicht mehr.
Sie nimmt die Hand von seinem Mund und schaut ihm in die schwerlidrigen Augen, die sich bereits verschleiern.
Verdammich, ächzt sie. Warum sind Leben und Tod immer bloß ein Haarbreit auseinander?
Sie zieht einen Kugelschreiber aus der Tischschublade, schiebt ihm die Spitze in ein Nasenloch und hämmert sie mit dem Handballen bis ganz nach oben, damit er nicht zurückkommen kann.
Dann streift sie sich das Gummiband vom Haar und wickelt es fest um ihren kleinen Finger, um die Blutung zu stillen. Sie setzt sich mit dem Rücken ans Fenster, um zu verschnaufen.
Sie schüttelt den Kopf.
Dabei hat’s mir hier wirklich gefallen.
4
E s ist schon fast vier Uhr früh, als sie an Rubys Tür klopft.
Was ist los? Rubys mütterlicher Instinkt ist sofort geweckt.
Du musst mich vernähen.
Temple tritt mit einer schweren grünen Reisetasche ein, die laut scheppert, als sie sie abstellt. Dann schließt sie hinter sich die Tür und zeigt Ruby ihre Hand.
O mein Gott, was ist denn passiert?
Hab was abbekommen.
Wir müssen Dr. Marcus holen.
Wir holen keinen Doktor und auch sonst niemand. Ich war schon in der Klinik und hab Lidocain aufgetrieben. Du hast bestimmt Flickzeug, und ich brauch nur kurz deine Hilfe – ein, zwei Stiche –, dann verschwinde ich.
Erzähl mir, was passiert ist.
Ich verrat dir alles, sobald ich nich mehr auf deinen Teppich blute. Versprochen.
Ruby betrachtet wieder ihre Hand.
Komm ins Licht. Sie führt Temple herum und setzt sie aufs Bett. Dann legt sie Temples Hand auf den Tisch unter die Lampe.
Hier. Temple reicht Ruby das Lidocain und die Nadel.
Wie viel?
Keine Ahnung. Nur ein bisschen. Die Hand brauch ich noch.
Ruby injiziert das Medikament in die fleischige Stelle der Handfläche gleich über dem Finger.
Ich versteh nicht, warum Dr. Marcus das nicht machen soll.
Morgen werden mich die Männer hier nich mehr besonders mögen. Die haben manchmal so merkwürdige Vorstellungen von Kameradschaft. Hast du Nadel und Faden?
Ruby geht zur Schublade und kramt darin herum. Welche Farbe? Sie klingt durcheinander.
Glaub nich, dass das eine Rolle spielt. In einer Minute wird es sowieso blutschwarz sein.
Ach natürlich. Dumm von mir, im Moment kann ich einfach nicht richtig denken.
Komm schon, das is wie Sockenflicken.
Ruby bringt Nadel und Faden, und Temple spürt, wie ihre Hand taub wird. Sie angelt sich eine Zeitschrift von dem Stapel unter dem Nachttisch und legt sie unter, um das Blut aufzufangen. Dann nimmt sie ihren kleinen Finger genau unter die Lupe. Er ist gleich nach dem ersten Knöchel abgetrennt, ein sauberer Schnitt durch den Knochen, der als gelblicher Stummel herauslugt. Mit der anderen Hand zieht sie die Haut über das Knochenende und kneift sie zusammen wie eine Vorhaut.
So, sagt sie zu Ruby. Jetzt führst du da ein paarmal den Faden durch und verknotest das Ganze. Das wird schon wieder.
Ruby macht sich an die Arbeit. Temple wendet den Blick ab und versenkt sich in das Bild eines Gemüsegartens, das über Rubys Bett hängt. In der Mitte der Beete erkennt sie drei Kaninchen und ein Mädchen mit Haube. Der Schmerz dringt scharf durch das Gefühl von Taubheit. Ihr wird schwindlig, aber sie beißt die Zähne zusammen, sie will nicht umkippen. Schnell nimmt sie ein Vicodin aus der Tasche und steckt es sich in den Mund.
Als es vorbei ist, löst Temple das elastische Haarband vom Finger, um zu sehen, was
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