Nach Dem Sommer
Koffeinentzug und dann hatte ich gerade eine echt seltsame Unterhaltung mit Olivia. Ich erzähls dir sofort, wenn mein Koffeinspiegel wieder stimmt. Wo ist denn mein Telefon?« Sam deutete aufs Handschuhfach.
Ich öffnete das Fach und nahm mein Handy heraus. Eine neue Nachricht. Ich wählte die Nummer meiner Mailbox und stellte das Telefon auf Lautsprecher, dann legte ich es auf das Armaturenbrett und wandte mich Sam zu.
»Ich wäre dann so weit.«
Sam sah mich an, die Augenbrauen fragend erhoben. »Für?«
»Meinen Kuss.«
Sam biss sich auf die Unterlippe. »Ich ziehe den Überraschungsangriff vor.«
»Sie haben eine neue Nachricht«, sagte die Dame vom Band.
Ich verzog das Gesicht und warf mich in meinem Sitz zurück. »Du treibst mich noch in den Wahnsinn.«
Er grinste.
»Hi, Süße! Du glaubst nie, wen ich heute getroffen hab!« Moms Stimme quäkte aus dem Handylautsprecher.
»Du könntest dich einfach auf mich stürzen«, schlug ich vor. »Von mir aus wär das überhaupt kein Problem.«
Mom klang aufgeregt. »Naomi Ett! Von meiner Schule, weißt du noch?«
»Ach, so eine bist du, das wusste ich ja gar nicht«, neckte Sam.
Mom redete weiter: »Die ist jetzt verheiratet und alles. Und sie ist gerade für ein paar Tage in der Stadt, Dad und ich treffen uns heute Abend mit ihr.«
Ich sah ihn finster an. »Bin ich nicht. Aber mit dir weiß man ja nie.«
»Wir kommen bestimmt erst ganz spät nach Hause«, ging Moms Nachricht weiter. »Denk dran, dass noch Reste von gestern im Kühlschrank sind, und wir nehmen natürlich das Telefon mit, falls du uns brauchst.«
Meine Reste. Von dem Eintopf, den ich gemacht hatte.
Sam starrte auf das Telefon, als Mom fertig war und die Dame vom Band wieder übernahm. »Wenn Sie die Nachricht noch einmal hören wollen, drücken Sie die Eins. Wenn Sie die Nachricht löschen wollen ...«
Ich löschte sie. Sam sah immer noch das Handy an, seine Augen wirkten abwesend. Ich konnte nicht sagen, woran er dachte. Vielleicht war sein Kopf genau wie meiner mit einem Haufen verschiedener Probleme vollgestopft, allesamt gestaltlos und zu abstrakt, als dass man sie hätte lösen können.
Ich klappte das Handy zu und das Geräusch schien den Bann zu brechen. Sam sah mich eindringlich an. »Lass uns zusammen abhauen.«
Ich hob die Augenbrauen.
»Nein, ehrlich. Lass uns irgendwo hinfahren. Darf ich dich heute Abend ausführen? Irgendwohin, wo es was Besseres gibt als Reste von gestern?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Das heißt, was ich vielleicht gerne gesagt hätte, war: Glaubst du wirklich, dass du mich danach fragen musst?
Ich beobachtete ihn genau, während Sam weiterplapperte, die Worte purzelten nur so aus ihm heraus. Und wenn mir in diesem Moment nicht zufällig der Geruch in die Nase geweht wäre, hätte ich wahrscheinlich überhaupt nicht gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Doch er dünstete Wellen zu süßen Angstschweißes aus. Angst um mich? Angst vor irgendetwas, das heute passiert war? Angst, weil er den Wetterbericht gehört hatte?
»Was ist los?«, wollte ich wissen.
»Ich will nur ein bisschen raus aus der Stadt heute Abend. Nur mal rauskommen. Ein Miniurlaub. Nur ein paar Stunden ein anderes Leben führen, verstehst du? Ich meine, wir müssen nicht, wenn du nicht willst. Und wenn du denkst, dass das nicht -«
»Sam«, unterbrach ich ihn. »Halt den Mund.«
Er hielt den Mund.
»Und fahr los.«
Wir fuhren los.
Wir fuhren, bis sich der Himmel über den Bäumen lila färbte und die Vögel, die über die Straße flogen, nur noch schwarze Schatten waren. Es war so kalt, dass die Autos, die auf den Highway auffuhren, dichte weiße Abgaswolken in die Luft pusteten. Sam hielt mit der einen Hand das Lenkrad und verknotete die Finger der anderen mit meinen. Das war so viel besser, als zu Hause Eintopf zu essen.
Als wir abfuhren, hatte ich mich entweder an den Geruch von Sams Angst gewöhnt oder er hatte sich beruhigt, denn alles, was ich roch, war sein moschusartiger Duft nach Wolf und Wald.
»Also«, sagte ich schließlich und fuhr ihm mit dem Finger über den kühlen Handrücken, »wo fahren wir denn nun hin?«
Sam drehte sich kurz zu mir, in der Beleuchtung des Armaturenbretts sah ich sein melancholisches Lächeln. »In Duluth gibt es einen großartigen Süßigkeitenladen.«
Es war ja so niedlich, dass er eine ganze Stunde Auto fuhr, damit wir in einen Süßigkeitenladen gehen konnten! Und gleichzeitig so dumm, wenn man den Wetterbericht
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