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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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versuchen. Nur - ich glaube, dass ich wirklich ein Mensch sein muss, damit wir dabei eine Chance haben. Denn den Wolf kann man bestimmt nicht töten, während man noch der Wolf ist.«
    Ich zitterte. Nicht weil es kalt war, sondern weil sich das wirklich so anhörte, als sei es möglich. Schrecklich, tödlich, fürchterlich - ja, aber möglich. Und ich wollte es versuchen. Ich wollte seine Hand an meiner Wange und den traurigen Klang seiner Stimme nicht mehr missen. Ich hätte ihm sagen sollen: Nein, das ist es nicht wert , aber das wäre eine Lüge von dermaßen epischem Ausmaß gewesen, dass ich es einfach nicht schaffte.
    »Grace«, sagte Sam plötzlich, »das heißt, wenn du mich bei dir haben willst.«
    »Was?«, fragte ich, und dann verstand ich erst, was er meinte. Es konnte doch nicht sein, dass er das wirklich fragen musste! So undurchschaubar war ich doch auch wieder nicht. Und dann kapierte ich - schwer von Begriff, wie ich war -, dass er es von mir hören wollte. Er teilte immer seine Gefühle mit mir, und ich, ich war nichts als ... stoisch. Ich glaube nicht, dass ich es ihm zuvor schon jemals gesagt hatte. »Natürlich will ich das. Sam, ich liebe dich, das weißt du. Ich liebe dich seit Jahren. Das weißt du doch.«
    Sam schlang die Arme um seinen Körper. »Ja, aber ich wollte es von dir hören.« Er griff nach meiner Hand, merkte aber, dass ich sie nicht vom Steuer nehmen konnte; stattdessen wand er mein Haar um seine Hand, sodass die Fingerspitzen in meinem Nacken ruhten. Fast meinte ich zu spüren, wie sein Puls und meiner sich durch diese winzige Verbindung einander anpassten. Das könnte für immer mir gehören.
    Müde sank er zurück in seinen Sitz und legte den Kopf schief, um mich anzusehen, während er mit meinem Haar spielte. Dann fing er an, einen Song zu summen, und nach ein paar Takten sang er, leise, halb gesungen, halb gesprochen, und unglaublich sanft. Ich bekam nicht den ganzen Text mit, aber es ging um sein Sommermädchen. Mich. Vielleicht für immer seins. Er hielt die gelben Augen beim Singen halb geschlossen, und in diesem golden schimmernden Augenblick, der über einer eisbedeckten Landschaft in der Schwebe hing wie ein Tropfen sommerlichen Nektars, in diesem Augenblick sah ich mein Leben vor mir liegen, so wie es sein könnte.
    Der Bronco geriet heftig ins Schlingern und einen Herzschlag darauf sah ich den Hirsch über die Motorhaube rollen. Über die Windschutzscheibe huschte ein Riss, der gleich darauf in tausend spinnwebfeine Bruchteile explodierte. Ich trat auf die Bremse, aber nichts passierte. Nicht der Hauch einer Reaktion.
    Nach rechts , sagte Sam, oder vielleicht bildete ich mir auch nur ein, dass er das sagte, aber als ich das Lenkrad herumriss, rasten wir einfach weiter geradeaus und wir rutschten und rutschten und rutschten. Irgendwo in meinem Kopf tauchte mein Dad auf und rief: Gegenlenken! , und das tat ich, aber es war zu spät.
    Es klang, als bräche ein Knochen, und dann lag ein toter Hirsch auf dem Auto und im Auto und überall war Glas und, mein Gott, ein Baum in der Motorhaube, und ich hatte Blut an den Fingerknöcheln von all dem Glas, und ich zitterte und Sam sah mich an, mit diesem Gesichtsausdruck, der bedeutete: Oh nein , und dann wurde mir klar, dass der Wagen nicht mehr lief und dass eisige Luft durch das gezackte Loch in der Windschutzscheibe drang.
    Ich verschwendete einen Augenblick damit, ihn anzustarren. Dann versuchte ich, den Motor wieder anzulassen, der jedoch keinen Ton von sich gab, als ich den Schlüssel umdrehte.
    »Der Notruf - die holen uns hier raus«, sagte ich.
    Sams Mund verzog sich zu einem schmalen, traurigen Strich und er nickte, als würde das tatsächlich funktionieren. Ich wählte 911 und meldete den Unfall, redete schnell, versuchte abzuschätzen, wo wir uns ungefähr befanden. Dann zog ich meinen Mantel aus, vorsichtig, um meine blutigen Knöchel nicht mit den Ärmeln zu streifen, und warf ihn über Sam. Still und unbeweglich saß er da, während ich eine Decke vom Rücksitz nahm und auch diese über ihn warf, und dann rutschte ich auf der Sitzbank zu ihm hinüber und lehnte mich an ihn, sodass er hoffentlich etwas von meiner Körperwärme abbekam.
    »Bitte ruf Beck an«, bat Sam, und ich wählte. Ich stellte das Handy auf Lautsprecher und stellte es auf das Armaturenbrett.
    »Grace?« Becks Stimme.
    »Beck«, sagte Sam. »Ich bin's.«
    Stille. Und dann: »Sam. Ich -«
    »Keine Zeit«, unterbrach Sam. »Wir hatten einen

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