Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
anderen Autos.
    Ich schnappte mir Sams Mantel und sprang aus dem Wagen. Isabel wartete schon an der Hintertür und führte mich durch einen verraucht riechenden Abstellraum voller Stiefel, Hundeleinen und Hirschgeweihe. Als wir von dort in eine wunderschöne puristische Küche traten, verstärkte sich der rauchige Geruch noch. Ein ungegessenes Sandwich lag verlassen auf der Arbeitsplatte.
    »Er ist im Wohnzimmer vor dem Kamin«, sagte Isabel. »Er hat gerade erst aufgehört, sich zu übergeben. Vorher hat er aber noch schön den ganzen Teppich vollgekotzt. Ist schon in Ordnung, ich steh drauf, wenn meine Eltern sauer auf mich sind. Wozu mit alten Gewohnheiten brechen?«
    »Danke«, entgegnete ich, obwohl das kaum reichte, um auszudrücken, wie dankbar ich wirklich war. Ich folgte dem Rauchgeruch ins Wohnzimmer. Zum Glück für Isabel mit ihrer nicht vorhandenen Fähigkeit, ein Feuer zu machen, war die Decke hier sehr hoch und
    der meiste Qualm nach oben gezogen. Sam lag als gekrümmtes Bündel neben dem Kamin, eine Fleecedecke um die Schultern gewickelt. Neben ihm stand eine Tasse, die er anscheinend nicht angerührt hatte und aus der es noch immer dampfte.
    Ich hastete zu ihm hinüber, zuckte vor dem heißen Feuer zurück und blieb wie angewurzelt stehen, als ich ihn roch: herb, erdig, wild. Ein schmerzhaft vertrauter Geruch, den ich so sehr liebte - aber den ich jetzt nicht riechen wollte. Als er jedoch zu mir aufsah, war sein Gesicht menschlich, und ich hockte mich zu ihm und küsste ihn. Vorsichtig, als könnte entweder er oder ich zerbrechen, legte er die Arme um mich und den Kopf auf meine Schulter. Ich spürte, wie er stoßweise zitterte, trotz des rauchenden Feuers, das zwar klein war, aber dennoch heiß genug, um mir die Schulter zu verbrennen, die ich dem Kamin zugewandt hatte.
    Ich wünschte mir, er würde etwas sagen. Diese tödliche Stille machte mir Angst. Ich hielt ihn ein Stück von mir ab und fuhr ihm durchs Haar, bis ich schließlich das aussprach, was gesagt werden musste. »Dir geht's nicht gut, oder?«
    »Das ist wie eine Achterbahn«, erwiderte Sam leise. »Es geht aufwärts, immer weiter aufwärts auf den Winter zu, und solange ich nicht ganz oben angekommen bin, kann ich immer noch wieder zurück.«
    Ich sah weg, ins Feuer, seinen Mittelpunkt, die heißeste Stelle, bis die Farben und die Helligkeit alle Bedeutung verloren und in meinen Augen zu weißen, tanzenden Lichtern verschmolzen. »Und jetzt bist du ganz oben angekommen.«
    »Vielleicht. Ich hoffe nicht. Aber - ich fühle mich furchtbar.« Er schob seine eiskalten Finger in meine Hand.
    Ich konnte das Schweigen nicht ertragen. »Beck wäre auch gern gekommen, aber er konnte nicht aus dem Haus.«
    Sam schluckte, laut genug, dass ich es hörte. Ich fragte mich, ob ihm wohl wieder übel war. »Ich werde ihn nie wiedersehen. Das ist sein letztes Jahr. Ich dachte, ich wäre zu Recht wütend auf ihn, aber jetzt kommt mir das alles nur noch dumm vor. Ich - ich kapier's einfach nicht.«
    Ich wusste nicht, ob er damit den Grund meinte, weswegen er so wütend auf Beck gewesen war, was auch immer das war, oder seine Achterbahnfahrt. Ich starrte noch immer ins Feuer. So heiß. Ein winziger Sommer, in sich geschlossen und voller Kraft. Hätte ich es doch nur in Sams Körper verpflanzen und ihn so für immer warm halten können. Ich war mir bewusst, dass Isabel im Türrahmen stand, aber sie schien weit weg.
    »Ich denke dauernd darüber nach, warum ich mich nie verwandelt habe«, sagte ich langsam. »Ob ich immun geboren wurde oder so. Aber so war es ja nicht. Ich hab doch diese Grippe bekommen. Und außerdem bin ich trotzdem nicht ganz - normal. Ich kann besser riechen und hören.« Ich machte eine Pause, sammelte meine Gedanken. »Und deshalb glaube ich, dass es mein Vater war. Weißt du, als er mich im Auto vergessen hat. Ich hab so hohes Fieber bekommen, dass die Ärzte meinten, ich hätte eigentlich daran sterben müssen. Aber das bin ich nicht. Ich hab's überlebt. Und ich hab mich nie in einen Wolf verwandelt.«
    Sam sah mich mit traurigen Augen an. »Kann sein, dass du recht hast.«
    »Ja, aber das könnte doch ein Heilmittel sein, verstehst du? Wenn dir so richtig heiß würde?«
    Sam schüttelte den Kopf. Er war sehr bleich. »Das glaube ich nicht, Engel. Wie heiß war denn das Badewasser, in das du mich gesetzt hast? Und - Ulrik - er ist in dem einen Jahr doch nach Texas gefahren - da sind es manchmal 39, 40 Grad. Und trotzdem ist er noch

Weitere Kostenlose Bücher