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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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einfach, dass es Jack war, so wie ich gewusst hatte, welcher der richtige Weg durch die Bäume war.
    Mein Magen verknotete sich. Nervosität. Eine Vorahnung. Jack war vielleicht nicht das einzige Geheimnis in diesem Wald.
    Abends lag ich im Bett und starrte aus dem Fenster. Die Rollos hatte ich hochgezogen, sodass ich den Nachthimmel sehen konnte. Tausend leuchtende Sterne brannten Löcher in mein Bewusstsein und füllten mich mit Sehnsucht. Stundenlang hätte ich die Sterne so betrachten können, ihre Unendlichkeit und Tiefe trugen mich in einen Teil von mir, den ich tagsüber verleugnete.
    Von draußen, tief im Wald, drang ein langes, wehklagendes Jaulen zu mir herein, dann noch eines. Die Wölfe fingen an zu heulen. Immer mehr von ihnen stimmten ein, manche tief und traurig, andere hoch und kurz, ein schauriger Chor und doch wunderschön. Ich erkannte meinen Wolf, seine volle Stimme erhob sich über die anderen, als flehte er mich an, ihm zuzuhören.
    Es zerriss mir das Herz; ich wusste nicht, ob ich mir wünschte, dass sie aufhörten oder dass sie ewig so weitermachten. Ich stellte mir vor, dort bei ihnen in dem goldenen Wald zu sein und ihnen zuzusehen, wie sie die Köpfe zurückwarfen und unter dem endlosen Sternenhimmel ihr Lied anstimmten. Ich blinzelte eine Träne fort, fühlte mich unglücklich, albern, aber ich schlief nicht ein, bevor der letzte Wolf verstummt war.

 Kapitel 10 - Grace (14°C)
    M einst du, wir müssen das Buch mit nach Hause nehmen - du weißt schon, Abenteuer Darm oder wie das noch mal hieß?«, fragte ich Olivia. »Zum Weiterlesen? Oder kann ich es hierlassen?«
    Den Arm voller Bücher, schlug Olivia ihre Spindtür zu. Sie trug eine Lesebrille, komplett mit Kette an den Bügeln, die man sich um den Hals hängen konnte. An Olivia sah das Ganze sogar irgendwie gut aus, Typ bezaubernde Bibliothekarin. »Das ist 'ne ganze Menge zu lesen. Ich nehm's lieber mit.«
    Ich kramte mein Buch wieder aus dem Spind. Der Flur hinter uns hallte vom Lärm der Schüler wider, die ihre Sachen packten und nach Hause gingen. Den ganzen Tag lang hatte ich versucht, genügend Mut zu sammeln, um Olivia von den Wölfen zu erzählen. Normalerweise hätte ich gar nicht so lange gezögert, aber nach unserem Beinahestreit vom Vortag schien es schwierig, den richtigen Moment zu erwischen. Und jetzt war der Tag schon wieder vorbei. Ich atmete tief ein. »Gestern hab ich die Wölfe gesehen.«
    Olivia, die gar nicht merkte, wie wichtig das war, was ich ihr da zu erzählen versuchte, blätterte abwesend durch das oberste Buch auf ihrem Stapel. »Welche denn?«
    »Die böse weiße, den schwarzen und einen neuen.« Wieder überlegte ich hin und her, ob ich es ihr erzählen sollte. Sie interessierte sich viel mehr für die Wölfe als Rachel, und außerdem wusste ich
    auch nicht, mit wem ich sonst darüber reden sollte. Es klang ja schon in meinem Kopf verrückt. Aber seit gestern Abend hielt mich das Geheimnis umklammert und legte sich nun immer enger um meine Brust und meine Kehle. Ich ließ die Worte einfach heraus.
    »Olivia, ich weiß, das hört sich jetzt blöd an«, begann ich leise. »Der neue Wolf - ich glaube, da ist was passiert, als die Wölfe Jack angegriffen haben.«
    Sie starrte mich bloß an.
    »Jack Culpeper«, präzisierte ich.
    »Ja, schon klar.« Olivia blickte auf ihre Spindtür und runzelte die Stirn.
    Als ich sah, wie sie die Augenbrauen zusammenzog, bereute ich, das Gespräch überhaupt angefangen zu haben. Ich seufzte. »Ich glaube, ich hab ihn im Wald gesehen. Jack. Er ist...« Ich stockte.
    »Ein Wolf?« Olivia schlug die Absätze aneinander - ich hätte nicht gedacht, dass jemand außerhalb von Der Zauberer von Oz das tatsächlich machte -, wirbelte herum und musterte mich, eine Braue kritisch hochgezogen. »Du spinnst ja.« Zwischen den ganzen Schülern, die sich um uns drängten, konnte ich sie kaum verstehen. »Ich meine, klar ist das eine nette Vorstellung, und ich kann auch nachvollziehen, warum du unbedingt daran glauben möchtest - aber du spinnst doch total. Tut mir leid.«
    Ich beugte mich vor, aber es war so laut auf dem Gang, dass ich selbst kaum verstand, was wir sagten. »Olive, ich weiß doch, was ich gesehen habe. Das waren Jacks Augen. Es war seine Stimme.« Durch ihre Zweifel wurde ich selbst wieder unsicher, aber das gab ich natürlich nicht zu. »Ich glaube, die Wölfe haben Jack zu einem von ihnen gemacht. Warte mal - was meinst du eigentlich? Damit, dass ich daran glauben

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