Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
Klappe«, unterbrach Isabel meinen Gedankengang. »Ich weiß, jetzt erzählst du mir gleich, dass Wölfe nicht gefährlich sind. Tja, offensichtlich sind sie's doch. Und offensichtlich muss irgendjemand mal was dagegen unternehmen.«
    Mir kam wieder in den Sinn, worüber die anderen in der Klasse geredet hatten: Tom Culpeper und seine ausgestopften Tiere. Ich stellte mir meinen Wolf vor, ausgestopft und mit Glasaugen.
    »Du weißt doch gar nicht, ob das wirklich die Wölfe waren. Er kann doch auch -« Ich hielt inne. Ich wusste, dass es die Wölfe gewesen waren. »Hör mal, da muss irgendwas schiefgelaufen sein. Vielleicht war es ja auch nur ein einzelner Wolf. Wahrscheinlich hat der Rest des Rudels überhaupt nichts damit zu -«
    »Ach, wie schön, wenn jemand so objektiv ist«, entgegnete Isabel schnippisch. Eine ganze Weile sah sie mich einfach nur an, so lange, dass ich mich fragte, was sie wohl dachte. Und dann fuhr sie fort: »Also wirklich. Es wäre echt besser, wenn du dir diese greenpeacemäßige Wolfsbegeisterung abgewöhnst - bald sind die nämlich weg, ob es dir nun passt oder nicht.«
    Meine Stimme klang angespannt. »Warum erzählst du mir das?«
    »Mir reicht's, dass alle behaupten, die Wölfe wären harmlos. Die haben ihn umgebracht. Aber weißt du was? Damit ist jetzt Schluss. Und zwar heute.« Isabel tippte auf mein Pult. »Man sieht sich.«
    Ich versuchte, sie am Handgelenk festzuhalten, bevor sie verschwinden konnte, bekam aber nur ihre Armreife zu fassen. »Was soll das heißen?«
    Isabel starrte meine Hand auf ihrem Arm an, zog ihn aber nicht weg. Sie wollte, dass ich nachfragte. »So etwas wie mit Jack wird nie wieder passieren. Sie erschießen die Wölfe. Jetzt. In diesem Augenblick.«
    Sie befreite sich aus meinem erschlafften Griff und schwebte zur Tür hinaus.
    Einen kleinen Moment lang blieb ich mit glühenden Wangen dort am Tisch sitzen. Ich nahm ihre Worte auseinander und setzte sie wieder zusammen.
    Und dann sprang ich auf. Meine Notizen flatterten zu Boden wie erschöpfte Vögel. Ich ließ sie einfach liegen und rannte zu meinem Auto.
    Völlig außer Atem schob ich mich hinters Steuer. Wieder und wieder hörte ich Isabels Worte in meinem Kopf nachhallen. Ich hätte nie gedacht, dass die Wölfe in Gefahr geraten könnten, aber als ich überlegte, wozu ein Kleinstadtanwalt und Riesenegomane wie Tom Culpeper - getrieben durch aufgestaute Wut und Trauer, unterstützt durch Reichtum und Einfluss - fähig war, schienen sie mir auf einmal entsetzlich wehrlos.
    Ich steckte den Schlüssel ins Zündschloss und das Auto sprang knatternd und widerstrebend an. Vor mir wartete eine Reihe gelber Schulbusse am Bordstein, gruppenweise trödelten noch immer Schüler auf dem Gehweg herum, aber innerlich hatte ich nur die Reihe dunkler Bäume hinter meinem Haus vor Augen. Waren Jäger hinter meinen Wölfen her? Verfolgten sie sie in diesem Moment?
    Ich musste sofort nach Hause.
    Der Wagen kam schnaufend zum Stehen; mein Fuß fand auf der maroden Kupplung keinen festen Halt.
    »Mann!«, fluchte ich und spähte um mich. Hoffentlich hatte keiner mitgekriegt, wie ich das Auto abgewürgt hatte. Nicht dass das in letzter Zeit so schwierig gewesen wäre, jetzt, da der Temperaturfühler langsam krepierte. Aber normalerweise konnte ich die Kupplung immer noch überlisten und schaffte es bis auf die Straße, ohne mich allzu sehr zu blamieren. Ich biss mir auf die Unterlippe, riss mich zusammen und es gelang mir, den Wagen wieder anzulassen.
    Es gab zwei verschiedene Wege von der Schule zu mir nach Hause. Der eine war zwar kürzer, aber mit Ampeln und Stoppschildern gespickt - also keine Chance, ich war heute zu abgelenkt, um mein Auto zu hätscheln. Der andere Weg war ein bisschen länger, aber es gab dort nur zwei Stoppschilder. Außerdem führte er am Rand des Boundary Wood entlang, wo die Wölfe lebten.
    Ich fuhr so schnell, wie ich meinte, dem Auto zumuten zu können. Vor lauter Nervosität war mir schon ganz übel. Auf einmal klapperte es beunruhigend. Ich warf einen Blick auf die Armaturen: Der Motor war überhitzt. Blöde Karre. Wäre mein Vater doch nur mit mir zum Händler gefahren, wie er mir andauernd versprach.
    Der Horizont leuchtete mittlerweile brandrot und verwandelte die Wolkenstreifen über den Bäumen in blutige Schlieren. Mein Puls pochte mir in den Ohren und meine Haut kribbelte wie elektrisch geladen. Mein ganzer Körper schien mir zuzuschreien, dass etwas nicht stimmte. Ich wusste nicht, was

Weitere Kostenlose Bücher