Nach Dem Sommer
gesagt«, unterbrach mich Sam. »Wölfe haben eben so ihre eigenen Wege der Kommunikation. Sie können einander Bilder zeigen, wenn sie sich nahe sind.«
Gereizt fuhr ich zu ihm herum. Wie ein schwarzer Schatten stand er im Gegenlicht. »Du gibst nie auf, oder?«
Sam sah mich nur an, mit diesem ruhigen Wolfsblick, den ich inzwischen so gut kannte, aufmerksam und traurig.
»Warum fängst du immer wieder damit an?«
»Du wurdest gebissen.« Langsam ging er um mich herum und wirbelte mit den Füßen das Laub auf. Seine Augen funkelten unter den dunklen Brauen.
»Und?«
»Und das macht dich zu dem, was du bist. Zu einer von uns. Du hättest diesen Ort nicht wiedererkannt, wenn du nicht auch eine Wölfin wärst, Grace. Was ich dir gezeigt habe, hätte nur einer von uns sehen können.« Seine Stimme klang ernst, eindringlich sah er mich an. »Wenn du - wenn du nicht wie wir wärst, könnte ich jetzt noch nicht mal mit dir reden. Wir dürfen mit normalen Menschen gar nicht darüber sprechen, was wir sind. Wir haben nicht sehr viele Regeln, aber Beck hat gesagt, an diese eine halten wir uns einfach.«
Für mich ergab das keinen Sinn. »Und warum?«
Sam antwortete nicht, aber seine Finger wanderten zu der Stelle an seinem Hals, wo er angeschossen worden war. Ich sah die blassen, glänzenden Narben an seinem Handgelenk, und es schien mir völlig widersinnig, dass jemand so Sanftmütiges wie Sam für immer die Spuren menschlicher Gewalt tragen musste. Ein Schauer überlief mich, als der Wind auffrischte.
»Beck hat mir Geschichten erzählt«, fuhr er leise fort. »Die Menschen töten uns auf jede nur erdenkliche Weise. Wir sterben in Versuchslaboren, sie erschießen uns, vergiften uns. Selbst wenn es eine wissenschaftliche Erklärung dafür gibt, dass wir uns verwandeln, denken die Leute immer gleich an Zauberei. Ich glaube, Beck hat recht. Wir dürfen es niemandem erzählen, der nicht so ist wie wir.«
»Sam, ich verwandele mich aber nicht«, widersprach ich. »Ich bin nicht wie ihr.« Plötzlich spürte ich die Enttäuschung wie einen Kloß im Hals, der sich nicht hinunterschlucken ließ.
Er schwieg. Eine Weile standen wir so zusammen in dem goldenen Wald, bevor er schließlich seufzte und weiterredete.
»Damals, als du gebissen wurdest, da war ich mir so sicher, wie es weitergehen würde. Ich hab nächtelang darauf gewartet, dass du dich verwandelst, dann hätte ich dich mitnehmen und beschützen können.« Ein kühler Windhauch fuhr ihm durchs Haar und ließ einen Schauer goldener Blätter rings um ihn niederregnen. Sam streckte die Hände aus und versuchte, sie aufzufangen. Ein dunkler Engel in einem ewigen Herbstwald.
»Für jedes bekommt man einen glücklichen Tag, wusstest du das?«
Ich verstand nicht, was er meinte, auch nicht, als er die Hand öffnete und mir die zerknickten Blätter darin zeigte. »Einen glücklichen Tag für jedes fallende Blatt, das man fängt.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Ich sah zu, wie sich die Blätter langsam zu entfalten begannen und leicht im Wind zitterten. »Wie lange hast du gewartet?«
Wenn er sich getraut hätte, mir bei der Antwort in die Augen zu sehen, wäre es beinahe unerträglich romantisch gewesen. Stattdessen hielt er den Blick gesenkt und bohrte seine Stiefel ins Laub - so viele glückliche Tage - auf dem Waldboden. »Ich warte immer noch.«
Jetzt wäre es wohl an mir gewesen, etwas Romantisches zu sagen, aber auch mir fehlte der Mut. Wortlos beobachtete ich ihn, wie er schüchtern auf seiner Unterlippe kaute und die Blätter auf der Erde anstarrte.
»Das muss ja ganz schön langweilig gewesen sein«, merkte ich schließlich an.
Sam lachte, es war ein eigentümliches Lachen voller Selbstironie. »Na ja, du hast die meiste Zeit gelesen. Und für meinen Geschmack viel zu oft am Küchenfenster gesessen, da konnte ich dich nämlich kaum sehen.«
»Und wahrscheinlich viel zu selten halb nackt am Schlafzimmerfenster gestanden, hab ich recht?«, zog ich ihn auf.
Sam lief feuerrot an. »Darum geht es doch jetzt gar nicht.«
Ich schmunzelte über seine Verlegenheit und ging weiter, dabei wirbelte ich mit den Füßen die goldenen Blätter auf. Hinter mir hörte ich auch ihn durchs Laub stapfen. »Und worum geht es dann?«
»Ach, vergiss es«, schmollte Sam. »Gefällt es dir nun hier oder nicht?«
Ich fuhr zu ihm herum und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn. »Moment mal.« Er hob die Augenbrauen und blieb ebenfalls stehen. »Du hast von
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