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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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irgendwen zerfleischt, als er noch auf deiner Schule war?«
    Wie jeder in der Schule hatte auch ich die Geschichte gehört, derzufolge Jack einen anderen Jungen nach einer Party krankenhausreif geschlagen hatte; ich hatte es als dummes Geschwätz abgetan, bis ich den Jungen selbst auf dem Flur gesehen hatte, das halbe Gesicht noch immer angeschwollen. Jack musste sich nicht erst verwandeln, um ein Monster zu sein.
    Ich zog ein Gesicht. »Doch, könnte man schon so sagen.«
    »Wenn es dich beruhigt: Ich glaube nicht, dass er hier ist. Aber ich hoffe es trotzdem.«
    Wir gingen also in den Wald. Es war ein vollkommen anderer Wald als der, der an unseren Garten grenzte. Die Bäume standen eng beieinander und dazwischen wucherte das Unterholz so dicht, als müsste es die Bäume stützen. Dornen verhakten sich in meinen Jeans, und Sam hielt immer wieder an, um uns die Kletten von den Hosenbeinen zu pflücken. Wir kamen nur langsam voran. Von Jack oder einem der anderen Wölfe gab es keine Spur, aber Sam hielt auch nicht sonderlich gründlich nach ihnen Ausschau. Ich wiederum sah mich betont aufmerksam um, damit ich so tun konnte, als bemerkte ich nicht, wie er alle paar Sekunden zu mir herübersah.
    Nicht lange und mein ganzer Kopf hing voller Kletten, die sich
    ziepend in meinen Haaren verknoteten.
    Sam blieb stehen und machte sich daran, sie eine nach der anderen herauszuzupfen. »Bald wird's besser«, versprach er und sah mich besorgt an. Wie süß, er dachte, ich könnte die Nase voll haben und zurück zum Auto wollen. Dabei hätte ich mir gar nichts Schöneres vorstellen können, als ihn vorsichtig die Kletten aus meinen Haaren lesen zu lassen.
    »Das macht mir nichts aus«, versicherte ich ihm. »Ich frage mich nur, wie wir überhaupt rauskriegen sollen, ob außer uns noch jemand hier ist. Dieser Wald hört ja gar nicht mehr auf.«
    Sam fuhr mir mit den Fingern durchs Haar, als suchte er noch immer nach Kletten, obwohl wir beide wussten, dass keine mehr da waren. Er lächelte mich an und atmete tief ein. »Riecht nicht so, als wären wir allein hier.«
    Er sah mich an, und ich wusste, er wartete darauf, dass ich es ihm bestätigte - dass ich zugab, das verborgene Leben des Rudels auch wittern zu können, wenn ich es nur versuchte. Stattdessen griff ich wieder nach seiner Hand. »Dann geh mal vor, du Spürhund.«
    Sam warf mir einen enttäuschten Blick zu, führte mich dann aber weiter durch das Unterholz, einen kleinen Hügel hinauf. Wie er versprochen hatte, wurde es langsam besser. Nach und nach lichtete sich das Dornengestrüpp, die Bäume wuchsen nun hoch und gerade und die Äste fingen erst ein paar Meter über unseren Köpfen an. Die schrägen Strahlen der Nachmittagssonne tauchten die rissigweiße Rinde der Birken in buttriges Licht und ließen ihre Blätter zartgolden schimmern. Als ich zu Sam hinübersah, leuchtete mir dasselbe warme Gelb aus seinen Augen entgegen.
    Wie erstarrt blieb ich stehen. Das war mein Wald. Genau der goldene Wald, in den ich in meiner Fantasie immer geflüchtet war. Sam bemerkte meinen Gesichtsausdruck und ließ meine Hand los. Er trat einen Schritt zurück und sah mich an.
    »Wir sind da«, verkündete er und wartete wohl darauf, dass ich etwas sagte. Oder vielleicht auch nicht, vielleicht konnte er mir auch alles vom Gesicht ablesen. Ich hätte sowieso nichts sagen können -ich stand einfach nur da, in dem schimmernden Licht, und ließ meinen Blick über die Blätter schweifen, die wie gelbe Federn an den Zweigen hingen.
    »Hey.« Sam berührte mich am Arm und betrachtete mich von der Seite, als suchte er nach Tränen. »Du siehst traurig aus.«
    Langsam drehte ich mich einmal um die eigene Achse; die Luft um mich herum schien zu glitzern und zu pulsieren. »Als ich noch klein war, habe ich mir immer vorgestellt hierherzukommen«, erklärte ich. »Aber ich weiß einfach nicht, wo ich das schon mal gesehen haben sollte.« Wahrscheinlich ergab das alles gar keinen Sinn, aber ich redete weiter und versuchte, meine Gedanken zu entwirren. »Der Wald hinter unserem Haus ist ganz anders. Da gibt es keine Birken und die Blätter sind auch nicht gelb. Wieso erkenne ich dann das hier wieder?«
    »Vielleicht hat dir ja jemand davon erzählt.«
    »Dann müsste dieser Jemand mir den Wald bis ins kleinste Detail beschrieben haben, bis hin zur Farbe der Luft. Daran würde ich mich doch erinnern. Ich wüsste noch nicht mal, wie man das überhaupt in Worte fassen sollte.«
    »Ich hab's dir doch

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