Nach Dem Sommer
er - noch immer bezaubernd schüchtern - erwiderte.
»Ich hab über den Kühlschrank nachgedacht«, flüsterte ich.
Sam trat ein winziges Stück zurück, ohne mich jedoch loszulassen. »Du hast über den Kühlschrank nachgedacht?«
»Ja. Du wusstest doch nicht, ob der Strom hier für den Winter angestellt sein würde. Ist er.«
Er runzelte die Stirn und ich rieb ihm über die Falte zwischen den Augenbrauen.
»Wer bezahlt denn die Stromrechnung? Beck?« Als er nickte, fuhr ich fort: »Sam, ich hab Milch im Kühlschrank gefunden. Die war nur ein paar Wochen alt. Jemand war hier. Vor Kurzem.«
Sams Umarmung hatte sich gelockert und seine traurigen Augen sahen jetzt noch trauriger aus. Ich konnte den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht lesen, als sei es ein Buch in einer Sprache, die ich nicht verstand.
»Sam«, sagte ich. Ich wollte ihn zu mir zurückholen.
Doch sein ganzer Körper hatte sich nun versteift. »Ich sollte dich nach Hause bringen. Deine Eltern machen sich bestimmt Sorgen.«
Ich gab ein kurzes, humorloses Lachen von mir. »Ja, klar. Mit Sicherheit. Was ist los mit dir?«
»Gar nichts.« Sam schüttelte den Kopf, sichtlich mit etwas anderem beschäftigt. »Ich meine, nicht ganz nichts. Es war eben ein ziemlich harter Tag, das ist alles. Ich bin - ich bin einfach bloß müde oder so.«
Er sah wirklich müde aus, etwas Düsteres, Ernstes ging von ihm aus. Ich fragte mich, ob das an der Beinaheverwandlung lag oder ob ich in Bezug auf Shelby und Beck einfach den Mund hätte halten sollen. »Dann kommst du also mit zu mir?«
Er wies mit dem Kinn auf das Haus rings um uns.
»Komm schon«, bat ich. »Ich hab immer noch Angst, du könntest plötzlich verschwinden.«
»Ich verschwinde schon nicht.«
Ungewollt musste ich wieder daran denken, wie er im Flur auf dem Boden gekauert hatte, und an seine leisen Laute, als er darum kämpfte, ein Mensch zu bleiben. Und ich wünschte mir sofort, es wäre mir nicht wieder eingefallen. »Das kannst du gar nicht versprechen. Ich will nicht nach Hause. Jedenfalls nicht, wenn du nicht mitkommst.«
Leise seufzte Sam auf. Mit den Handflächen streifte er die nackte Haut am unteren Rand meines T-Shirts, seine Daumen glitten voll Verlangen über meine Hüften. »Führ mich nicht in Versuchung.«
Ich antwortete nicht, stand nur da in seinen Armen und sah zu ihm hoch.
Er drückte den Kopf an meine Schulter und seufzte erneut auf. »Das ist echt schwierig, mich bei dir zusammenzureißen.« Sachte stieß er sich von mir weg. »Ich weiß nicht, ob ich wirklich weiter bei dir wohnen sollte. Mensch, du bist schließlich erst - wie alt? Erst siebzehn.«
»Und du bist schon uralt, oder was?«, verteidigte ich mich.
»Achtzehn«, antwortete er, als sei das so etwas Trauriges. »Zumindest bin ich volljährig.«
Ich musste tatsächlich grinsen, obwohl es gar nichts zu lachen gab. Meine Wangen glühten und das Herz hämmerte mir in der Brust. »Machst du Witze?«
»Grace«, beschwichtigte er mich, und beim Klang seiner Stimme verlangsamte sich mein Herzschlag sofort. Er nahm meinen Arm. »Ich will doch nur, dass alles so ist, wie es sein soll. Ich hab schließlich nur diese eine Chance, bei dir alles richtig zu machen.«
Ich sah ihn an. Der Raum um uns lag still da, mit Ausnahme der Äste, die raschelnd über die Fenster kratzten. In diesem Augenblick hätte ich wirklich gern mein Gesicht gesehen, während ich zu Sam aufsah. War mein Blick genauso eindringlich wie der von Shelby auf dem Foto? Genauso besessen?
Die Nacht drängte gegen das Fenster, eine eisige Bedrohung, die heute jäh zur Realität geworden war. Hier ging es nicht um Sex. Hier ging es um Angst.
»Bitte komm mit zu mir«, wiederholte ich. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, wenn er Nein sagte. Ich hätte es nicht ertragen, am nächsten Tag wiederzukommen und ihn als Wolf vorzufinden.
Das musste Sam in meinen Augen erkannt haben, denn er nickte bloß und griff nach dem Dietrich.
Kapitel 27 - Sam (3°C)
G race' Eltern waren zu Hause.
»Die sind doch nie zu Hause!« Grace' Stimme war ihre Verärgerung anzuhören. Aber da waren sie nun mal oder zumindest ihre Autos: der Taurus ihres Vaters, der im Mondschein silbern oder blau schimmerte, und der kleine VW Golf ihrer Mutter, der sich davorquetschte.
»Wehe, du kommst mir jetzt mit >Ich hab's dir doch gesagt<«, brummte Grace. »Ich gehe jetzt rein und sehe nach, wo sie sind, und dann komme ich wieder raus und wir besprechen die Lage.«
»Du meinst, du
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