Nach Dem Sommer
etwas an dem ändern, was ich war. Das Gebläse der Zentralheizung summte leise und erinnerte mich daran, dass dies das Einzige war, was mich in meinem menschlichen Körper hielt. Die Nächte früh im Oktober waren bereits kalt genug, um mir meine Menschenhaut zu entreißen, und in einem Monat würden es auch die Tage sein. Was sollte ich dann tun, mich den ganzen Winter über bei Grace verstecken und jeden noch so kleinen Luftzug fürchten?
Ich öffnete die Augen wieder und starrte auf mein Spiegelbild, bis die Form und Farbe meiner Augen überhaupt nichts mehr bedeuteten. Ich fragte mich, was Grace in mir sah und was sie an mir so faszinierte. Was war ich denn schon ohne meinen Wolfspelz? Ein Junge, so vollgestopft mit Worten, dass sie förmlich aus ihm herausquollen.
Im Augenblick endete jeder Satz, jeder Vers, der mir durch den Kopf ging, auf ein und dasselbe Wort: Liebe.
Ich musste Grace sagen, dass dies mein letztes Jahr war.
Ich spähte in den Flur, um nach ihren Eltern Ausschau zu halten, und schlich dann zurück in Grace' Zimmer, wo sie bereits im Bett lag, eine lange, weiche Erhebung unter der Bettdecke. Einen Moment lang gingen meine Gedanken mit mir durch und ich fragte mich, was sie darunter wohl anhatte. Eine Wolfserinnerung flackerte vage in mir auf, in der sie an einem Frühlingsmorgen aus dem Bett kletterte, mit nichts als einem übergroßen T-Shirt, ihre langen, nackten Beine glitten unter der Decke hervor. So sexy, dass es wehtat.
Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen wegen meiner Fantasien. Ein paar Minuten lang drückte ich mich am Fußende des Bettes herum und dachte an kalte Duschen, Gitarrengriffe und andere Dinge - Hauptsache, sie hatten nichts mit Grace zu tun.
»Hey«, flüsterte sie ein bisschen benommen, als hätte sie schon geschlafen. »Was machst du denn da?«
»Sschh«, machte ich, und meine Wangen röteten sich. »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Ich hab nur nachgedacht.«
Ihre Antwort wurde von einem Gähnen unterbrochen. »Dann hör auf damit.«
Ich kletterte ins Bett und legte mich wieder ans andere Ende der Matratze. Irgendetwas war anders seit diesem Abend - es hatte mit Grace zu tun und damit, dass sie mich in einem meiner schlimmsten Momente gesehen hatte, bewegungsunfähig in der Badewanne, bereit, aufzugeben. Heute Nacht schien das Bett zu klein, als dass ich vor ihrem Geruch hätte fliehen können, vor ihrer schläfrigen Stimme und der Wärme ihres Körpers. Unauffällig türmte ich die Laken zwischen uns auf und legte den Kopf auf mein Kissen. Ich versuchte krampfhaft, meine Gedanken zu zügeln und einzuschlafen.
Grace streckte ihre Hand nach mir aus und begann, mir mit den Fingern durchs Haar zu streichen. Ich schloss die Augen und ließ sie gewähren - mich in den Wahnsinn treiben. She draws patterns on my face / These lines make shapes that can't replace / the version of me that I hold inside / when lying with you, lying with you, lying with you. »Ich mag dein Haar«, murmelte sie.
Ich sagte nichts. Ich dachte über eine Melodie nach, die zu den Zeilen in meinem Kopf passen würde.
»Tut mir leid wegen vorhin«, flüsterte sie. »Ich wollte dich nicht an die Grenze treiben.«
Ich seufzte, als ihre Finger mir über Hals und Ohren fuhren. »Es geht nur alles so schnell. Ich will doch, dass du -«, ich hielt inne, bevor ich »mich liebst« sagen konnte, denn das wäre allzu anmaßend gewesen, »mit mir zusammen sein willst. Das wollte ich schon immer. Ich hab einfach nur nie damit gerechnet, dass es wirklich so weit kommen könnte.« Das klang alles zu ernst, deswegen fügte ich hinzu: »Ich bin schließlich nur so was wie ein Fabelwesen. Aus wissenschaftlicher Sicht dürfte es mich gar nicht geben.«
Grace lachte leise, nur für mich. »Dummkopf. Also für mich fühlst du dich ziemlich real an.«
»Du dich auch für mich«, flüsterte ich.
Eine Weile schwiegen wir in der Dunkelheit.
»Ich wünschte, ich würde mich auch verwandeln«, sagte sie schließlich kaum vernehmbar. Ich öffnete die Augen, ich musste ihr Gesicht sehen, als sie das sagte. Und es offenbarte mir mehr als jeder Ausdruck, den ich je darin gesehen hatte: unendlich traurig, ihre Lippen bebten vor Sehnsucht.
Ich streckte die Hand nach ihr aus und legte sie ihr an die Wange. »Nein, Grace, das willst du nicht. Das willst du nicht.«
Sie schüttelte ihren Kopf in den Kissen. »Ich fühle mich so elend, wenn ich das Heulen höre. Es war immer so schrecklich, wenn du im Sommer
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