Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
offenbar ähnliche Interessen.«
»Wir wollen uns mit niemandem zusammentun.«
»Wirklich?«
»Wirklich.«
»Sie werden sich vielleicht mehr als nur zusammentun müssen. Könnte sein, dass Sie auserkoren werden. Eingeladen und versorgt sogar, wer weiß. Das könnte besonders auf die Kleine da zutreffen.«
»Genauso ist es«, stimmten die anderen zu.
»Wie alt bist du, Mädchen?«
»Lassen Sie sie in Ruhe.«
Sie drückte seinen Arm.
»Na dann«, sagte der Mann und grinste. Er trat zurück und machte eine Armbewegung, als wollte er ihnen ihre Plätze zeigen. »Ein Cowboy muss seinen Weg gehen. Entschuldigen Sie die Unterbrechung. Geht einfach, und lasst’s euch schmecken. Wir bleiben hier und schauen zu. Und da drüben werden wir heute Abend ein oder zwei Gläschen trinken.« Er deutete auf einen Laden auf der anderen Seite des Platzes, über den in kindlicher Schreibschrift das Wort KNEIPE gesprayt war.
»Komm«, sagte Cohen zu Mariposa, und sie gingen weiter. Cohen beobachtete die Männer, als er vorbeiging, verunsichert.
»Wir werden dafür sorgen, dass ihr euch wie zu Hause fühlt«, rief der Mann aus. »Und wisst ihr, warum? Weil’s hier nichts anderes zu tun gibt. Wir haben nichts weiter zu tun, als uns um die Besucher unserer schönen Stadt zu kümmern. Aber Gott weiß, dass wir ohnehin weggefegt werden. Vielleicht macht es ihm ja sogar Spaß.«
38
Sie kamen sich vor wie Schauspieler, die, ohne geprobt zu haben, in eine schon laufende Produktion einsteigen müssen und die Rollen von schweigenden, erschöpften und verwirrten Menschen spielen sollen. Sie saßen in einer Nische am vorderen Fenster des Cafés. Brisco und Evan auf der einen, Cohen und Mariposa auf der anderen Seite. Entlang der Wand lagen noch viele weitere Sitznischen, und fast alle Plätze waren besetzt. Frauen mit Kindern und alte Leute saßen teilweise zu sechst an einem Tisch. Eine Gruppe mexikanischer Jungs sprach hastig und schaute sich nervös um. Viele Menschen und mehr Normalität, als sie alle in den vergangenen Jahren erlebt hatten. Mehr Normalität, als Brisco sein ganzes Leben lang gesehen hatte.
Gegenüber den Sitznischen erstreckte sich ein langer Tresen mit zehn Barhockern, und darauf saßen Männer mit Kaffeebechern und Zigaretten. Hinter der Theke stand eine schwarze Frau in einem weißen T-Shirt und mit einem roten Halstuch, mit dem sie sich gelegentlich den Schweiß abtupfte, während sie am Grill hantierte. Ein schwarzes Mädchen eilte von Tisch zu Tisch mit einem kleinen Notizbuch in der Hand und einem Handtuch, das sie sich über die Schulter geworfen hatte.
»Was macht die denn da?«, fragte Brisco.
Evan beugte sich zu ihm. »Sie geht rum und fragt die Leute, was sie haben wollen. Dann schreibt sie es auf und sagt es der Köchin. Die Köchin bereitet das Essen zu und die Getränke, und sie kommt zurück, holt alles und bringt es der Person, die es bestellt hat.«
Brisco sah der Kellnerin zu, wie sie zwischen den Tischen herumlief, kurz anhielt, um eine Bestellung aufzuschreiben oder Geschirr abzuräumen. »Oh«, sagte er.
Das Mädchen ging vorsichtig über den rutschigen Linoleumboden. An den Wänden zogen sich Risse von der Decke bis zum Fußboden, an manchen Stellen war der Putz herabgefallen, und die dahinter liegende Ziegelwand war zu sehen. Der große Mann mit der Schürze stand in der Tür wie ein Rausschmeißer. In der rechten Hand hielt er den ungefähr dreißig Zentimeter langen, dicken Griff eines Billardstocks. Er schlug sich damit rhythmisch gegen das Bein und summte ein Lied.
Mariposa legte den Kopf auf den Tisch, und Cohen warf einen Blick durchs Fenster auf den großen Platz. Es regnete immer noch, die Leute lungerten weiterhin auf den Gehsteigen herum, und das Wasser stand so hoch, dass es schon über die Randsteine schwappte. Sie tranken. Sie rauchten. Manche flüsterten miteinander. Ab und zu bewegte sich jemand. Eine Mischung aus alten und jungen Leuten. Auf der anderen Seite des Platzes bemerkte Cohen zwei Streifenwagen, die in einer Seitenstraße parkten. Wahrscheinlich war deshalb seine kurze Auseinandersetzung mit den Männern dort draußen nicht eskaliert.
Der große breite Mann, der einen Bürstenschnitt hatte, kam herein und klopfte mit dem Billardstock auf den Tisch. Sie schauten ihn an. Er hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt, und über seinen Unterarm verlief eine Narbe wie eine Verlängerung des Billardstocks.
»Habt ihr Hunger?«, fragte er.
»Ich hab Hunger«, sagte
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