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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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der Kirchenbank aus. Ihm war so kalt, dass er nur keuchend atmen konnte, seine Gedanken verknoteten sich. Er fragte sich, ob es nicht besser wäre, die nassen Klamotten auszuziehen, aber er hatte keine Kraft dazu. Und dann hörte er wieder die Stimme des schwarzhaarigen Mädchens.
    Erschieß ihn, los, erschieß ihn jetzt!
    Der Regen brach ungestüm los, und der Wind dröhnte, als wäre ein Krieg über das Land hereingebrochen. Das brüllende Unwetter brachte die kleine Kirche zum Schwanken, überall knackte es bedrohlich, aber das Gebäude hielt stand, während der Wind immer wieder hereinpeitschte. Die Bäume draußen beugten sich tief, die Stämme brachen, und er wusste, dass dies erst der Anfang war.
    Er ließ sich von der Bank auf den Boden fallen und kroch wieder darunter. Die Erinnerung an Elisa und das Kind hatten seinen Geist belebt. Das Mädchen wäre jetzt drei Jahre alt. Nein, vier. Nein, drei. Und wie alt wäre Elisa jetzt? Er zählte die fünf Jahre Altersunterschied ab. Sie wäre jetzt 34. Er wollte nicht mehr darüber nachgrübeln und dachte an sein Haus und daran, wie lächerlich er wohl gewirkt hatte, als er mit diesem langen Pritschenanhänger, auf dem jede Menge Bauholz lag, die Küste entlanggefahren war, während alle anderen die entgegengesetzte Richtung einschlugen. Schaut euch diesen Trottel an, hatten sie wahrscheinlich kommentiert. Was will der denn hier noch aufbauen? Weiß der denn nicht, was hier los ist? Hat der noch nicht kapiert, dass es hier unten zu Ende geht? Sogar wenn es ihm gelingt, wird es ihm nichts bringen. Bald wird die Linie gezogen, und dann ist hier unten alles vorbei.
    Er stellte sich vor, wie sie sich darüber das Maul zerrissen, aber so wie es aussah, hatten sie recht behalten. Hier unten konnte man nichts mehr aufbauen. Die Zeit zwischen den Stürmen reichte nicht aus. Und außerdem fiel der Regen unaufhörlich. Aber trotzdem hatte er nicht aufgehört, das Kinderzimmer zu Ende zu bauen. Weil Elisa und er sich vorgenommen hatten, ein Kinderzimmer einzurichten, und weil er das Fundament für dieses Zimmer bereits gegossen hatte, bevor die Kleine und Elisa von ihm gegangen waren. Scheiß auf die Stürme und scheiß auf die Linie und scheiß auf die Regierung und ihr lächerliches Angebot für mein Haus und mein Land! Ich werde dieses Kinderzimmer bauen, egal, wie lange es dauert! Er wusste, wie idiotisch dies alles auf einen Außenstehenden wirken musste, aber es gab ja keine Außenstehenden mehr. Er jedenfalls würde erst dann woanders hingehen, wenn er dieses Zimmer fertig hatte. Aber nun, als er hier in der schwankenden und ächzenden Kapelle unter der Kirchenbank lag, völlig durchnässt, während es draußen regnete, mit seiner lädierten Schulter und diesem dicken roten Striemen um den Hals, und nachdem man ihm seinen Jeep geklaut hatte, fragte er sich schon, ob es jemals ein Kinderzimmer geben würde. Und er fragte sich auch, ob die Holzbretter jemals genug trockneten, und ob er eines Tages als alter Mann endete, den nicht das Wetter, sondern die Zeit in die Knie zwang.
    Seine Gedanken rasten umher, der Sturm dröhnte, und er lag auf dem Bauch, die Arme verschränkt, das Gesicht darauf gebettet. Schließlich schlief er ein. Und begann zu träumen. Die Tage der Anarchie nach der offiziellen Deklaration der Linie kamen ihm wieder in den Sinn. Die brennenden, geplünderten Läden, die zusammenfallenden Gebäude, die leeren Wohnhäuser. Die ganze Küste ging in Flammen auf. Banden von Zurückgebliebenen zündeten alles an, was brennbar war, und zogen dann weiter, um etwas anderes abzufackeln. Die Casinos waren naheliegende Ziele, auf sie lenkten die frustrierten Küstenbewohner ihren Hass, weil die Casinos immer zuerst verschwanden, während um sie herum die Menschen weiter litten. Einige wurden von der stürmischen Flut erfasst und umgeworfen, manche wurden aufs Festland geschleudert. Andere gingen unter. Aber es gab auch ein paar, die wie antike Gebäude übrig geblieben waren, als leere Hüllen einer Zeit des Wohlstands. Die Gebäude, die brennbar waren, wurden angezündet und verglühten grellrot in der Nacht. Ihr Feuerschein schimmerte über Orten wie Gulfport oder Biloxi oder anderen kleinen verlassenen Orten.
    Die Brände erschienen ihm auch im Traum. Er hörte, wie die Gasleitungen Feuer fingen und explodierten. Das Glas zersprang, und es klang wie Pistolenschüsse. Er sah, wie die Brandstifter ihren Erfolg in archaisch anmutenden Ritualen feierten, als

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