Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
an, und Cohen wollte auch den Hund zum Schweigen verpflichten, aber der drehte sich einfach um und zog den Schwanz ein. Vielleicht fühlte er sich ausgeschlossen und war eifersüchtig.
Er sattelte die Stute und ließ sie im Hinterhof stehen, wo sie am Gras zupfte. Dann ging er noch einmal los und überquerte das Feld mit großen Schritten. Matsch und Schmutzwasser spritzten auf, und nach ungefähr zweihundert Metern blieb er vor der Baumgruppe stehen. Die Bäume sahen aus, als hätten sie den Widerstand aufgegeben. Manche waren zerborsten, andere umgekippt. Ihre dicken Wurzeln griffen ins Leere wie hilflose Arme, manche hingen schlaff herab. Zwischen den Bäumen hatte er Holzbohlen verlegt, die nach seinen vergeblichen Versuchen mit dem Kinderzimmer nutzlos geworden waren. Er ging auf eine zerfetzte Eiche zu, vor der zwei Grabsteine in den Boden eingelassen waren. Eine Leiche, aber zwei Grabsteine.
Er kniete sich auf die nasse Erde.
Um ihn herum war die Welt bläulichgrau. Es war die Welt, in der er für immer bleiben, die er mit den alten Farben am Leben erhalten wollte. Er hatte dem allgegenwärtigen Grau widerstehen wollen, aber nun sah er ein, dass er keine Chance hatte.
Er starrte Elisas Grabstein an. Nur ihr Name stand darauf, und die Daten von Geburt und Tod. Er starrte den Grabstein des Babys an. Darauf stand nur der Name.
Die Steine waren schmutzig, nasse Blätter klebten darauf. Cohen beugte sich vor und wischte mit der Hand darüber, bis sie sauber waren. Einmal war er mit Hammer und Meißel hergekommen und wollte in jeden Stein ein Kreuz eingravieren, aber als er ankam, änderte er seine Meinung. Regentropfen fielen, und im Himmel grollte der Donner.
Sie war nur noch schwer zu erkennen. Seit einer Weile schon. Sogar auf den Fotos schien sich ihr Bild zu verwandeln, änderten ihre Augen und Ohren und ihre Nase sich ein klein wenig, ließen sie ein bisschen anders aussehen, als sie es gewesen war. In seinem Unterbewusstsein war sie ganz deutlich zu sehen. In seinen Träumen. Als eine Erscheinung, die mit den Wolken einherging oder im blitzenden Gewitter auftauchte. Ihre Stimme war im Donner zu hören oder im monotonen Prasseln des Regens. Er beugte sich vor, stieß seine Faust in den feuchten Erdboden und fragte sich, ob sie überhaupt da war. Würde er auf ihren Sarg stoßen, wenn er zu graben begann? Und würde sie darin liegen, oder war da, wo sie einmal war, nur ein endlos tiefes, schlammiges Loch, das seine Füße einsaugte und ihn nach unten zog, immer tiefer unter die Erde, in einen endlosen Tunnel aus feuchter Erde, mit Wasser gesättigt und sich langsam selbst verschlingend?
Er stieß seine Fäuste in den Grund, und sie versanken darin, und das braune Wasser sammelte sich um seine Knöchel. Es kam ihm vor, als wäre nichts anderes dort, nur dieser nasse, klebrige Boden, der ihm alles genommen hatte, das er einst liebte. Aber was hatte er geliebt? Er liebte die süße Brise des Meeres, das Schwimmen im Ozean, den salzigen Geschmack auf seinen Lippen, den Sand, der an seinen Füßen und Händen klebte. Er liebte die Freitagabendveranstaltungen am Anleger, wenn eimerweise Chickenwings und Rippchen gegrillt wurden und man Bier aus der Flasche trank und den beiden Jungs mit den Gitarren zurief, was für ein Stück sie spielen sollten, von Jimmy Buffett, Lynyrd Skynyrd oder Steve Earle oder wem auch immer. Er liebte den Bush-Hog-Rasenmäher und sein rhythmisches Brummen, wenn er in der heißen Julisonne die Wiese abmähte und dabei unendlich viel Schweiß vergoss. Er liebte das Heu, das er aufhäufte, und die namenlosen Kühe und ihre Kälber, die auf seinem Land grasten. Er liebte das Mädchen mit den rot lackierten Zehennägeln und ihren heimlichen Treffpunkt neben dem Feldweg und das, was sie in den Sommernächten miteinander entdeckten, wenn die Fenster offen standen und die Moskitos sich auf ihre nackten Körper setzten. Er liebte das Baseball-Training und das Klacken, wenn der Schläger den Ball traf, das Ranschmeißen an die Base, den lächerlichen Unterstand und den Sieg. Er liebte den Sonnenbrand. Er liebte die blühenden Hornsträucher auf den ausgedehnten Rasenflächen vor den Vorkriegshäusern in Biloxi. Er liebte es, den Highway 90 auf und ab zu fahren, mit einer Kühltasche voller Bierflaschen und drei Kumpels, die die ganze Zeit Blödsinn reden und das Radio aufdrehen, um irgendwelche schrägen Metal-Bands zu hören. Er liebte den Trubel an der Küste, wenn die Casinos geöffnet
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