Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
trat die kaputten Gipswände ganz ein. Dann trat er durch die Tür in das dunkle Schlafzimmer, das er einst mit Elisa geteilt hatte.
Es roch modrig, als wäre der Raum schon viel länger als zwei Jahre verschlossen gewesen. Er trat ein und stellte fest, dass die Schubladen der Kommode herausgezogen worden waren. Elisas Sachen lagen durcheinander auf dem Boden. Er kniete sich zwischen die Kleider. Das graue Tageslicht drang durch die dünnen Vorhänge, umfing ihn wie eine Wolke und verwandelte ihn in eine namenlose Figur aus einem alten Schwarzweiß-Film. Er hob eins ihrer Kleider auf, ein silbernes aus Seide, und befühlte den weichen Stoff mit seinen derben Händen. Hob es an und drückte es an seine heiße Stirn, als hätte es eine besondere Heilkraft.
Er ließ das Kleid wieder auf den Boden fallen und nahm nach und nach einige andere Kleidungsstücke von ihr in die Hand – einen BH, einige T-Shirts, schwarze Strümpfe, rote Höschen. Er hob jedes einzelne Stück ganz langsam in die Höhe, schaute es eingehend an und ließ es dann genauso langsam wieder zu Boden sinken, als wären es vertrocknete Blätter, die schon bei kleinster Krafteinwirkung zerbröseln könnten. Er stand auf und bemerkte die Abdrücke ihrer Finger und Hände auf der Kommode, auf der sich ein dicker Schmutzfilm abgesetzt hatte, seit er das Zimmer verschlossen hatte. Und er sah, dass zwischen den Flügeln des Deckenventilators Spinnweben hingen. Er durchquerte das Zimmer, ging um das Bett herum, dessen Bezüge und Tücher abgezogen waren, und setzte sich auf die nackte Matratze. Auch auf dem Nachtschränkchen waren ihre Fingerabdrücke zu sehen. Elisas hölzernes Schmuckkästchen war geöffnet und umgekippt. Es war leer. Der Verlobungsring, das Hochzeitsband, die Ohrringe und die Halskette waren weg, wahrscheinlich schmückten sich jetzt fremde Personen damit. Menschen, denen es gleichgültig war, wem diese Dinge einmal gehörten. Er nahm die leere Schatulle, klappte den Deckel zu und hielt sie fest. Er versuchte, sich an etwas Schönes zu erinnern, aber er konnte nur an diese Fremden denken, die ihm seine Erinnerungen an sie gestohlen hatten. Sie hatten mitgenommen, was sie tragen konnten, und würden wahrscheinlich alles ausladen und dann wiederkommen, um den Rest zu holen.
Mit der Schmuckschachtel in den Händen legte er sich aufs Bett und streckte sich aus. Er wollte schlafen. Er musste unbedingt schlafen. Musste jetzt ganz still liegen bleiben und darauf warten, dass das Aspirin das Fieber besiegte. Musste etwas trinken und essen und sich ausruhen, um wieder zu Kräften zu kommen. Aber das war nicht möglich. Sie würden zurückkommen. Sie waren in der Überzahl und hatten seine Waffen, seinen Jeep, und er hatte gar nichts. Der Hund tapste ins Schlafzimmer und schnüffelte an den Kleidern, die auf dem Boden lagen. Dann schaute er sich um, als wollte er sagen: Diese Frau wohnt doch gar nicht mehr hier.
Cohen schloss die Augen. Er wollte schlafen, irgendwann wieder aufwachen und dann feststellen, dass sein Leben sich grundlegend geändert hatte. Der Hund kam neben das Bett und legte sich hin. Eine Weile lagen sie ruhig da, als hätten sie alle Zeit der Welt. Als er kurz davor war, einzunicken, richtete er sich auf, stellte die Schmuckschachtel wieder auf das Nachtschränkchen, neben das Bild, auf dem sie beide bis zu den Hüften in der Meeresbrandung standen. Er nahm den Rahmen, holte das Bild heraus und hielt es dicht vor seine Augen. Ließ seine Fingerspitzen über die Gesichter gleiten, die aus einer anderen Zeit stammten. Er faltete das Foto einmal in der Mitte, stand auf, schob es in seine Gesäßtasche, kniete sich hin und murmelte: »Hoffentlich ist es noch da.«
Er beugte sich nach unten und schaute unters Bett. Der Schuhkarton war verschwunden. Er fluchte laut und schlug mit der Faust auf den Boden. Drehte sich um, presste den Kopf gegen die Holzbohlen, hämmerte mit den Fäusten darauf und schrie immer wieder, verdammt, verdammt, verdammt!
Eine Weile saß er zusammengekauert da, schlug noch einmal auf den Boden, stand auf und ging zum Kleiderschrank. Die Schiebetüren waren offen. Sie hatten alles mitgenommen, was gegen die Kälte half. Ihre Jacken, Pullover und Jeans. Die Kleider waren noch da. Die Sommerkleider, in denen sie zum Anbeißen ausgesehen hatte. Das kleine Schwarze, in dem sie so elegant aussah, wenn sie zu einer Beerdigung mussten. Das andere, das die Sommersprossen zwischen ihren Brüsten zum Vorschein brachte.
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