Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
Er wandte den Blick ab von ihren Kleidern und schaute nach unten, wo er ein altes Paar Arbeitsschuhe entdeckte, die er ganz vergessen hatte. Er hob sie an. Sie waren schwarz, verstaubt und hatten Stahlkappen an den Spitzen. Vor allem waren sie trocken. Er klemmte sie unter den Arm und ließ eine Hand über ihre Kleider gleiten. Dann verließ er das Zimmer, lief den Flur entlang und trat in den anderen Raum.
Dies war das Büro gewesen, bis sich das Baby angekündigt hatte. Ab da war es zum Wohnzimmer für alle geworden, ein Raum, wo sie alles Mögliche aufbewahrten, bis das Kinderzimmer fertig war. Die kleine Kommode war offen, und jemand hatte die winzigen Kindersachen auf den Boden geworfen. Er stellte die Stiefel ab, kniete sich hin und hob jede winzige Socke und jedes Strampelhöschen auf, faltete alles zusammen und legte es in das Schränkchen zurück. Zwei Schubladen hatten sie in freudiger Erwartung schon gefüllt. Immer wenn Elisa unterwegs war, hatte sie ein Mützchen oder ein Hemdchen für das Baby mitgenommen. Immerzu musste sie an das kleine Mädchen denken, und immer kam sie lächelnd mit etwas Neuem nach Hause, und er machte sich über sie lustig. Er schob die Schubladen zu und stand auf. Auf der Kommode standen einige leere Bilderrahmen. Daneben eine Lampe, auf deren Schirm Giraffen zu sehen waren. Ein Sparschwein. Er hob es an, schüttelte es und hörte, wie die Münzen klimperten. Er stellte es zurück und ging zum Wandschrank. Die Tür stand offen, und er sah seine beiden Anzüge dort hängen, daneben einige kleine rosa Kleiderbügel. Auf dem Boden Kisten mit Spielsachen. Ein Stapel Bilderbücher auf dem oberen Schrankboden.
Er trat zurück. Blieb in der Mitte des Zimmers stehen. Er hatte das Gefühl, ein riesiges Loch würde sich unter ihm öffnen, um ihn zu verschlingen. Wenn es doch nur so wäre!
Er stand da, ohne jede Regung, ausdruckslos, mit leeren Augen.
Einige Minuten später ging er noch mal zu der Kommode, zog die Schublade auf, nahm ein paar winzig kleine Socken heraus und steckte sie in die Vordertasche seiner Jeans. Dann packte er seine Stiefel und verließ das Zimmer.
Im vorderen Raum setzte er sich auf den Boden, zog die nassen Stiefel aus und die trockenen an, die er mit Doppelknoten zuschnürte. Dann ging er nach draußen, um nach Habana zu sehen. Der Hund trottete hinter ihm her.
Er ging um das Haus herum und stellte fest, dass die Tür des zum Stall umfunktionierten Zimmers offen stand, wie er erwartet hatte. Er schaute hinein und stellte überrascht fest, dass ihr Sattel und das Zaumzeug noch da waren. Er rief nach ihr und pfiff und suchte den Hinterhof ab. Er fragte den Hund nach dem Pferd, aber der reagierte nicht. Er ging in den Hinterhof, stieg über den umgekippten Stacheldrahtzaun und trat hinaus aufs Feld. Er legte die Hände an den Mund und drehte sich im Kreis, während er nach ihr rief und Ausschau hielt, in der Hoffnung, dass sie irgendwo zwischen den Bäumen erschien, wenn sie merkte, dass er es war. Los, such sie, sagte er zu dem Hund, aber der blieb neben ihm stehen. Er rief weitere drei Mal nach ihr und ging dann kopfschüttelnd zum Haus zurück, um nachzuschauen, was sonst noch übrig geblieben war. Unter dem Küchenfenster entdeckte er den Generator und war sich nun sicher, dass sie zurückkommen würden. Sie hatten alles, was reinpasste, in den Jeep gepackt, luden jetzt aus und kamen zurück, um den Rest zu holen. Niemand ließ einen Generator stehen.
Der Hund bellte, Cohen drehte sich um und sah, wie Habana über das Feld auf sie zulief. Er ging ihr entgegen, streichelte ihren Hals und umarmte sie. Als ihre Mähne über sein Gesicht fiel, weinte er, ohne Tränen, ruckartig, voller Schmerz. Er hielt sie fest, sein Körper bebte, und er gab zornige Tiraden von sich, entschuldigte sich daraufhin, und das Pferd stand ganz ruhig da, als würde es ihn verstehen. Ein blasser Sonnenstrahl drang durch den verschleierten Himmel und schien auf sie, und er umklammerte weiter den Hals seines Pferdes und weinte, während sie nebeneinander auf dem weichen, nassen Erdboden standen. Als er fertig war, bat er sie, nie irgendjemandem davon zu erzählen, was gerade passiert war. Wer weiß, ob man es nicht einmal gegen ihn verwenden könnte. Versprich mir das, sagte er und schaute ihr in die großen Augen, bis er sicher war, dass er ihr vertrauen konnte. Er zog die Nase hoch, spuckte aus, und dann gingen sie zum Haus zurück. Der Hund erwartete sie im Hinterhof, schaute sie
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