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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Margaretes Körper wurde von der leichten Bettdecke fast verschluckt. Sie hatte so lange darauf gewartet, dass er ihr zu Hilfe kam. Dass er für sie heranwuchs und stark wurde. Es war ihm nicht gelungen, und sie hatte sich aufgerieben.
    Andreas’ Schulter juckte, aber er mochte sich nicht kratzen. Seit gestern juckten ihn viele Dinge; die meisten krabbelten in seinem Kopf umher. Fragen ohne Antworten. Antworten ohne die dazugehörigen Fragen. Gefühle, die er nicht sortieren konnte. Pflichten, die er nicht tragen konnte. Impulse, derer er sich schämte. Chaos in seiner bis vor Kurzem akribisch organisierten Welt.
    Er war ausgebrannt und hatte zu wenig geschlafen. Dennoch war er davon überzeugt gewesen, herkommen zu müssen. Wofür? Margarete war nicht bei sich. Sie war kurz erwacht, war ihm draußen mitgeteilt worden. Man hatte ihr erklärt, was geschehen war. Sie hatte genickt und war wieder eingeschlafen.
    Andreas war nicht sicher, ob dieser Tiefschlaf einzig von der Narkose und dem Sturz herrührte. Vielleicht nutzte der Körper seiner Mutter die Situation, um sich endlich auszuruhen. Sie hatte es nötig. Nun, da ihre modisch geschnittenen Haare wirr unter dem Verband hervorragten, an einigen Stellen geschoren waren, kein auf ihre Kleidung abgestimmtes Make-up ihre Züge verfeinerte, war sie nicht mehr als eine unscheinbare, blasse und kranke Frau.
    Andreas erkannte sie kaum wieder.
    »Geh allein hinein«, hatte sein Vater ihn leise gebeten. »Zu viel Unruhe ist nicht gut für sie, haben die Ärzte gesagt. Sie soll langsam aufwachen.«
    Das klang sinnig in Andreas’ Ohren. Nur wusste er nicht, wie er sich verhalten musste. Sollte er etwas sagen? Sollte er sie berühren? Sollte er sich still neben sie setzen? Er war ratlos. Seine Hilflosigkeit zerrte an ihm. Er konnte nichts tun, und wenn es etwas gegeben hätte, mit dem er ihr helfen konnte, hätte er nicht die Kraft dafür aufgebracht.
    Andreas verspürte Sehnsucht. Er wollte gehen, und er wusste genau, wohin: zu seinem Therapeuten. Köninger konnte ihn in Windeseile aufrichten. Er würde ihn reden lassen, bis der Druck nachließ. Er würde ihm den Kopf zurechtrücken und seine Erwartungen an sich selbst regulieren, indem er ihm vor Augen hielt, wer er war, wo er herkam und was man von einem einzelnen Menschen überhaupt erwarten konnte.
    Letztendlich hielt der Gedanke an Köninger Andreas aufrecht. Die Tatsache, dass er in einer knappen Stunde einen Termin bei ihm hatte, kürzte den Krankenbesuch auf natürliche Weise ab. Wenn er demnächst ging, dann mit einem guten Gewissen.
    Dennoch gab es eine Stimme in ihm, die flüsterte, dass er an der Seite seiner Mutter bleiben sollte. Dass sie wichtiger war als er. Ein Dämon lauerte in seinem Kopf und erinnerte ihn daran, dass der Besuch beim Therapeuten gar nicht nötig wäre, wenn er stärker, belastbarer, besser wäre.
    Andreas wandte den Kopf ab und unterdrückte die Übelkeit, die sich unaufhaltsam durch seine Eingeweide fraß. Ihm war schwindelig. Die blassgelb getünchten Wände des Zimmers schienen fremdartig. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie plötzlich in sich zusammengefallen wären oder sich flimmernd aufgelöst hätten, damit dahinter das Raster eines Holo-Decks auftauchte. Wie auf der USS Voyager, Intrepid-Klasse, verschollen im Delta-Quadranten. Gott, Andreas wäre jetzt auch gern im Delta-Quadranten, 70 000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Der Abstand schien ihm angemessen.
    Das Geräusch war kaum mehr als ein Raunen. Ein Flüstern von Stoff, der sich bewegte. Andreas blickte auf, direkt in die halb geöffneten Augen seiner Mutter. Ihre Wimpern flatterten. Die Kehle bewegte sich überdeutlich, als sie versuchte zu schlucken. Ein kaum merklicher Ruck ging durch ihren Arm, den Andreas dennoch wahrnahm, als hätte sich ein Gebirge verschoben. Ihre Mundwinkel hoben sich um einen Millimeter, und plötzlich war er sich sicher, dass sie noch einmal zurückgekommen war, um sich von ihm zu verabschieden.
    Er konnte nichts dagegen unternehmen, die Angst war mit einem Schlag da. Sie fegte als kalter Schauer von seinen Füßen hoch zu den Hüften, klammerte sich dort hinein, erreichte seine Gedärme, die nervös rumorten, und dann das Herz, das von einer Sekunde zur nächsten zu klein für seine Brust wurde. Wäre er in der Lage gewesen, sich zu bewegen, hätte er den Alarm ausgelöst.
    Was als Angst um seine Mutter begann, endete als Gewissheit seines eigenen Todes. Der Schnitter stand im Raum. Andreas

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