Nach der Hölle links (German Edition)
konnte ihn hinter sich spüren, roch seinen Atem. Er wollte rennen, fliehen. Blieb trotzdem. Hörte eine vertraute Stimme, die aus seiner Erinnerung rief: »Du musst dich dem stellen. Es geschieht nichts. Die Angst lässt von allein nach, wenn du ihr lange genug die Stirn bietest.«
Andreas hielt sich daran. Aus einer ihm unbekannten Reserve schöpfte er Kraft, die ihn zum Stillstehen zwang. Er sah seiner Mutter in die trüben Augen, fragte sich, ob sie wusste, wie er zu kämpfen hatte. Ob sie je begreifen würde, was es für ihn bedeutete, ein geregeltes Leben zu führen. Er fand sich einmal mehr widerlich, weil er in dieser Situation an sich selbst dachte. Hätte am liebsten geweint, als sie die Finger bewegte und tonlos seinen Namen flüsterte und lächelte, als wäre nichts geschehen.
Er hörte sich sagen: »Ich komme morgen wieder. Schlaf jetzt.«
Ihr Lächeln gewann an Tiefe, und Andreas war dankbar, als sie die Augen schloss, sodass sie nicht sah, wie er aus dem Raum stürzte.
»… diskutiere darüber nicht mit dir. Es ist meine Entscheidung«, wurde er empfangen. Die Worte seines Großvaters waren ein Rauschen in Andreas’ Ohren. Er ertappte sich dabei, dass er sich auf den Flur umschaute und suchte, ohne zu wissen, wonach.
»Entschuldige, Schwiegervater, aber das ist nicht der Fall. Du hast dich aus der Firma zurückgezogen. Du hast sie Margarete überschrieben«, erwiderte Richard von Winterfeld, der sich in seinem eng sitzenden Freizeit-Pullover aufplusterte wie ein Gockel – oder wie ein Luftballon. »Ich bin sehr wohl fähig, die Geschäfte allein am Laufen zu halten.«
»Mach dir doch nichts vor. Ihr wart ja zu zweit kaum in der Lage, der Firma gerecht zu werden. Du kannst das nicht schaffen. Du brauchst Unterstützung, wenn du verhindern willst, dass Margarete vor der Zeit wieder im Büro sitzt. Andreas ist außen vor. Er kann dir nicht helfen.«
»Auch das ist nicht deine Entscheidung. Ich werde meinen Sohn selbst fragen, was er davon hält und ob er dazu bereit ist. Wenn nicht, findet sich eine andere Lösung.«
Andreas’ Großvater lachte bitter auf. »Du begreifst es nicht, oder? Dein Sohn ist krank!« Unerwartet griff der alte Mann sich an die Stirn und atmete bebend ein, bevor er Richard ruhig musterte. »Ich mag nicht das beste Beispiel für euch gewesen sein. Und anscheinend musste ich alt und grau werden, um das zu begreifen. Aber Andreas kann nicht leisten, was ihr braucht. Bei Margarete habe ich es viel zu spät begriffen. Du siehst, wohin uns das gebracht hat. Wenn du kein vollkommener Narr bist, dann akzeptiert du jetzt, was ich erst im hohen Alter einsehen konnte.« Nach dem sanften Zwischenspiel gewann die Stimme des Großvaters wieder an Schärfe. »Und deswegen reaktiviere ich mich. Es schadet mir nicht, wenn ich euch einige Monate zur Seite stehe. Du hast gehört, was die Ärzte gesagt haben.«
Nach Halt suchend stützte Andreas sich an die nahe Wand. Das Gespräch war über ihn hinweg gerauscht wie eine Flutwelle. Er hatte jedes einzelne Wort gehört, jedoch nur bedingt aufgenommen, wovon die Rede war. In seinem Hinterkopf fiepte es. Die eine oder andere Information wollte sich setzen, fand nur mühselig Raum.
Krächzend fragte er: »Was haben sie denn gesagt?«
Die Köpfe von Gustav und Richard von Winterfeld fuhren zu ihm herum. Es war erstaunlich zu verfolgen, wie es die Mienen zweier gestandener Männer innerhalb weniger Sekunden vom Ausdruck kämpfender Hirschen zu dem verlegener Schuljungen brachten.
Andreas’ schlimmster Albtraum drohte wahr zu werden. Der Konzern. Sein Platz in der Geschäftsleitung. Er war gefordert. Und alles, was ihn vom Platz im Büro seiner Mutter trennte, war sein Großvater, der sich für ihn in die Bresche warf.
»Wir sollten das in Ruhe besprechen«, bemerkte Richard nervös.
Zeitgleich fragte der Großvater: »Ist dir übel?«
Natürlich war ihm übel. Nur mit Mühe hielt er sich davon ab, neben dem Essenswagen zu erbrechen. Seine Magensäure brodelte, aber er wollte eine Antwort.
Mit einer hektischen Geste forderte Andreas seinen Vater zum Sprechen auf. »Sag schon.«
»Meinst du nicht, dass du besser erst einmal nach Hause …«
»Papa!«, stöhnte Andreas und griff sich an den Magen. »Ich will hier echt weg. Nur vorher will ich wissen, was los ist. Also spuck’s aus, bevor ich was ausspucke.«
Die älteren von Winterfelds wechselten einen Blick, schienen sich ausnahmsweise einmal einig zu sein.
»Ich fahre ihn heim«,
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